Globales Konjunkturpaket gefragt

Von Jens Martens

Während die Industrieländer milliardenschwere Konjunkturpakete schnüren, sind die Entwicklungsländer der Weltwirtschaftskrise weitgehend schutzlos ausgeliefert. Die Hilfe, die reiche Länder ihnen bislang zugesagt haben, ist nicht viel mehr als eine Geste. Nötig wäre ein globales Programm zur Eindämmung der Krisenfolgen. Darüber darf aber nicht eine kleine Gruppe von Staaten entscheiden. Die Vereinten Nationen, die voraussichtlich im Juni eine Konferenz zur Krise und ihren Folgen für die Entwicklungsländer veranstalten, wären der richtige Rahmen dafür.

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Entwicklungs- und Schwellenländer mit voller Wucht erfasst. Mittlerweile korrigieren die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) ihre Wirtschaftsprognosen für Afrika, Asien und Lateinamerika im Monatstakt nach unten. Die privaten Kapitalströme in diese Regionen werden von 2007 bis 2009 voraussichtlich auf ein Fünftel schrumpfen, die Exporteinnahmen brechen ein, die Risikoaufschläge für Staatsanleihen auf den Finanzmärkten sind in die Höhe geschnellt. Als Konsequenz daraus fehlen den Entwicklungsländern nach Weltbankschätzungen 2009 im günstigsten Fall 268 Milliarden, im schlimmsten Fall 700 Milliarden US-Dollar.

Die sozialen Folgen sind dramatisch: Die Internationale Arbeitsorganisation fürchtet, dass die Zahl der Arbeitslosen weltweit bis Ende des Jahres um bis zu 50 Millionen wachsen wird. Die Zahl der Armen wird in ähnlicher Höhe steigen. Bis 2015 werden laut Weltbank als Folge der Krise bis zu 2,8 Millionen Kinder zusätzlich sterben - wenn die Regierungen nicht entschieden gegensteuern.

Das ist von der G20, in der 20 Industrieländern und große Schwellenländer vertreten sind, bislang nicht zu erwarten. In ihrem 47-Punkte-Programm des Washingtoner Gipfels vom November 2008 wurden die Folgen der Krise für die Entwicklungsländer nur am Rande erwähnt. In ihrem Kommuniqué vom 14. März erklären die G20-Finanzminister lediglich in dürren Worten ihre Bereitschaft, den Entwicklungs- und Schwellenländern dabei zu helfen, mit den rückläufigen Kapitalflüssen fertig zu werden. Was sie zu tun gedenken, sagen sie nicht. Beim Londoner Gipfel am 2. April werden sich die Staats- und Regierungschefs vermutlich auf eine Aufstockung der Mittel für den Internationalen Währungsfonds (IWF) einigen. Damit lassen sich jedoch allenfalls kurzfristige Zahlungsbilanzschwierigkeiten überbrücken, nicht aber die strukturelle Krise überwinden, in der sich viele Länder befinden. Der IWF ist keine Entwicklungshilfeorganisation und sollte es auch nie werden. Seine wirtschaftspolitischen Auflagen haben in der Vergangenheit Finanzkrisen eher verschärft als gelindert.

Notwendig wäre ein koordiniertes globales Konjunkturprogramm, das eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Investitionen in den Ländern des Südens ermöglicht. Seine Eckpfeiler wären erstens die Bekämpfung der Kapitalflucht und die Schließung von Steueroasen, zweitens eine neue Initiative zur Entschuldung armer Staaten und die Schaffung eines internationalen Insolvenzverfahrens, drittens die Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA).

Der Präsident der Weltbank Robert Zoellick hat sich dafür ausgesprochen, einen - eher symbolischen - Anteil von 0,7 Prozent der Konjunkturprogramme der Industrieländer für entwicklungspolitische Zwecke zu verwenden; Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz forderte kürzlich ein Prozent. Die bislang angekündigten Konjunkturpakete summieren sich bis Januar 2009 auf rund 1650 Milliarden US-Dollar (ohne Finanzhilfen für Banken). Ein Prozent dieser Summe, also 16,5 Milliarden Dollar, reicht bei weitem nicht, um die Finanzierungslücke in den Entwicklungsländern zu schließen. Dennoch gibt es selbst über diesen begrenzten Akt der Solidarität bislang keinen Konsens.

Ein besonders peinliches Beispiel von nationalem Egoismus war der Sturmlauf der FDP-Bundestagsfraktion gegen den Plan der Bundesregierung, von den 50 Milliarden Euro des Konjunkturpaketes II 100 Millionen für entwicklungspolitische Zwecke zu verwenden. Ein Prozent der Konjunkturpakte I und II wären rund 800 Millionen Euro. Folgte die Bundesregierung dem Vorschlag von Stiglitz, dann müsste sie die deutsche Entwicklungshilfe 2009 und 2010 um jeweils 400 Millionen Euro aufstocken. Und selbst das wäre nur ein Viertel der 1,6 Milliarden Euro, um die Deutschland seine Entwicklungshilfe jährlich steigern müsste, um den EU-Stufenplan zur Erhöhung der ODA zu erfüllen.

Das dringend benötigte globale Konjunkturprogramm kann nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen werden. Das gleiche gilt für die überfälligen Reformen im Gesamtgefüge der internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen. Der Club der G20 ist dafür nicht das angemessene Forum. Zu Recht hat die Bundeskanzlerin eingeräumt, die G20 seien „längst nicht das ganze Bild der Welt", und sich wiederholt für einen Weltwirtschaftsrat unter dem Dach der Vereinten Nationen eingesetzt. Wie ernst sie das meint, kann Angela Merkel zwei Monate nach dem Londoner Gipfel unter Beweis stellen. Anfang Juni soll bei den Vereinten Nationen in New York eine Weltkonferenz zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Entwicklung stattfinden. Dies wäre der richtige Ort, um eine wirklich globale Antwort auf die Krise zu formulieren.

Jens Martens ist Geschäftsführer des Global Policy Forum Europe in Bonn.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2009: Alte Menschen: Zu wenig geachtet

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