Sie haben unlängst geschrieben, eine auf Armutsbekämpfung beschränkte Entwicklungspolitik mit eigenem Ressort sei kaum überlebensfähig. Warum nicht?
Harte Armut ballt sich noch in ungefähr 35 Ländern weltweit; davon sind gut 25 fragile Staaten. Auf diese Länder müsste sich eine eng definierte Entwicklungspolitik im Kern konzentrieren, und ein eigenes Ministerium für eine derart kleine Ländergruppe wäre zu schwach, um am Kabinettstisch eine wichtige Stimme zu haben.
Sie möchten also das Entwicklungsministerium, so wie wir es heute haben, abschaffen?
Wir sollten ein neues Ministerium für eine Entwicklungspolitik mit einem breiteren Fokus schaffen: ein Ministerium für Globale Entwicklung, das für die Zusammenarbeit mit den Ländern außerhalb der OECD zuständig wäre und neben dem Auswärtigen Amt stehen würde. Wir müssen uns fragen, was die drei, vier wichtigsten Zukunftsfragen sind, bei denen Industrie- und Entwicklungsländer in den kommenden zwanzig Jahren gemeinsam Fortschritte machen müssen, um globale Systemrisiken zu reduzieren. Meiner Ansicht nach sind das erstens die Armutsbekämpfung, zweitens der Klimaschutz, die Energiewende und der Umgang mit knappen Ressourcen – also der Schutz des Erdsystems, für den wir weltweit Durchbrüche zur nachhaltigen Entwicklung brauchen – und drittens Forschung, Innovation und Wissenschaft, denn die Schaffung gemeinsamen Wissens schafft erst die Grundlagen und die Legitimation für gemeinsames Handeln.
Besteht nicht die Gefahr, dass Aufgaben wie die Bekämpfung von Armut und Hunger und das Bemühen um Gerechtigkeit dann zu kurz kommen?
Nein, die Armutsagenda wäre ganz klar die erste Säule eines neuen Ministeriums. Man muss aber einfach sehen, dass die Armutsbekämpfung nur noch einen Teil unserer Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der OECD ausmacht. Wenn wir nach Vietnam, Peru oder nach Thailand gehen, ganz zu schweigen von den großen Schwellenländern, dann muss unser Portfolio breiter sein und sich an gemeinsamen Interessen orientieren. Denn die Zusammenarbeit mit diesen Ländern ist wichtig, um globale Zukunftsfragen lösen zu können.
Vertreter von Hilfsorganisationen haben in der Vergangenheit stets für den Erhalt des Entwicklungsministeriums gefochten, weil das BMZ das einzige Ministerium sei, das den Armen eine Stimme am Kabinettstisch gebe. Würde diese Funktion in einem neuen Ministerium für Globale Entwicklung nicht geschwächt?
Nein, ich würde diese Funktion gerne gesichert wissen. Und ich würde sie gerne erweitern, um dem Interesse an der Bearbeitung der globalen Probleme am Kabinettstisch eine Stimme zu geben. Schauen Sie sich doch die bevorstehende Konferenz in Rio an: Wir haben den Kampf zur Stabilisierung globaler Gemeinschaftsgüter beinahe aufgegeben. Das steht in Rio nicht einmal mehr auf der Tagesordnung. Wir werden dort über nationale Fahrpläne für eine „grüne Wirtschaft“ und über institutionelle Reformen in der globalen Umweltpolitik diskutieren. Beides ist wichtig, aber wir kümmern uns nicht mehr zielgerichtet um den Schutz der globalen Gemeingüter: die Meere, die gefährdeten Weltagrarflächen, die bedrohte Atmosphäre und andere Grenzen des Erdsystems.
Der Begriff der globalen Gemeingüter enthält die Annahme, es gebe globale, allgemeine Interessen. Aber gibt es die wirklich?
Alle Menschen sind auf ein Erdsystem angewiesen, dass ein Leben in Würde und ohne Not erlaubt. Wenn wir die weltweit etablierten Wachstumsmuster einfach weiterverfolgen, werden wir das Erdsystem in den kommenden Dekaden auf einen Entwicklungspfad bringen, der dieses globale Gemeinschaftsinteresse unterminiert. Aber das Bewusstsein für gemeinsame Interessen muss man schaffen, es fällt nicht vom Himmel. Das ist die zentrale Herausforderung, die wir in der internationalen Kooperation meistern müssen. Ein Ministerium für Globale Entwicklung wäre ein gutes Signal dazu aus Deutschland.
Was unterscheidet Ihren Vorschlag für ein neues Ministerium inhaltlich von der alten Debatte um mehr entwicklungspolitische Kohärenz?
Wir übersetzen die Forderung nach mehr Kohärenz in einen Vorschlag für eine institutionelle Innovation. Nehmen Sie als Beispiel eine globale Aufgabe wie den klimaverträglichen Umbau der Energiesysteme: Wenn dies in einem Ministerium gebündelt würde, statt auf mehrere verteilt zu sein, dann hätten wir einen stärkeren politischen Hebel.
Sie möchten auch Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik enger zusammenführen, etwa im Umgang mit fragilen Staaten. Aber ein Bürger Somalias definiert Sicherheit in seinem Land vielleicht ganz anders als ein deutscher Diplomat. Bliebe die somalische Sichtweise in dem neuen Ministerium nicht zwangsläufig auf der Strecke?
Ich verspreche mir eher umgekehrt, dass sich die Logik der Entwicklungspolitik stärker durchsetzen würde. Das BMZ ist in einem wichtigen Punkt ein Pionier: Es hat 50 Jahre lang gelernt, die Interessen anderer in die eigenen Strategien einzubauen. Darum geht es ja auch in der Debatte um die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit: Kooperation funktioniert nur, wenn Interessen untereinander abgestimmt werden. Ich würde erwarten, dass man in einem Ministerium für Globale Entwicklung diese Lehren der Entwicklungspolitik beherzigt, um in Politikfeldern wie Sicherheit, Umwelt oder Energie schneller voranzukommen.
Besteht nicht das Risiko, dass in Zukunft immer mehr Organisationen für „Globale Entwicklung“ entstehen, von denen man nicht mehr so genau weiß, wo ihr Arbeitsschwerpunkt liegt? Bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist das ja schon der Fall.
Es geht um Arbeitsteilung und den Aufbau von Kernkompetenzen, nicht um Allzuständigkeit einer Organisation. Der Typ der Organisationen, mit denen ein Ministerium für Globale Entwicklung kooperierte, würde sich verändern. Entwicklungsländer, insbesondere die dynamischeren unter ihnen, werden anspruchsvoller. Sie wollen in der Kooperation mit Deutschland oder auch Europa nicht mehr nur mit unserem Subsystem Entwicklungspolitik zusammenarbeiten. Wenn Entwicklungsländer Umweltreformen machen, werden sie sich zum Beispiel für die Expertise des Umweltbundesamtes interessieren. Wenn sie auf Innovationen in der Energieeffizienz setzen, werden sie die Fraunhofer-Institute interessant finden. Wenn es um den Aufbau des Wissenschaftssystems geht, wären unsere Hochschulen und Forschungsinstitute die kompetentesten Partner. Neben der GIZ gewinnen solche Institutionen in der internationalen Kooperation an Bedeutung. Anders herum wird die GIZ in Zukunft genau definieren müssen, wo ihre Stärken liegen.
Haben Sie schon Reaktionen aus der Politik auf Ihren Vorschlag bekommen?
Ja, und sie sind sehr unterschiedlich quer durch die Parteien. Offene Türen rennen wir mit der Grundidee ein, dass Entwicklungspolitik sich ändern muss, weil die Länder sich so unglaublich rasch verändern. Strittig bleibt, ob man das über einen Neuzuschnitt der Ressorts macht oder nicht. Ich bin aber davon überzeugt, dass man darüber jetzt nachdenken muss, wenn man verhindern will, dass die Entwicklungspolitik entweder irrelevant oder aber völlig überfordert wird.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
Dirk Messner
ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Zusammen mit DIE-Abteilungsleiter Jörg Faust hat er in einem Beitrag für die „Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“ Vorschläge für eine Neuorganisation der deutschen Entwicklungspolitik gemacht.
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