Unter die Räuberbarone gefallen

In Usbekistan steht nicht nur das politische Leben, sondern auch das wirtschaftliche unter der Knute von Staatspräsident Islam Karimow. Er verteilt die Posten im Staat und erlaubt seinen Getreuen, sich zu bereichern. Der größte Nutznießer des korrupten Systems ist seine eigene Familie.

Zwei Geldskandale köcheln zurzeit in Europa, deren Dämpfe die Herrscherfamilie Usbekistans umwehen. Die Schweizer Bundesanwaltschaft beschlagnahmte im vergangenen Sommer knapp 600 Millionen Franken sowie Schmuck und Wertgegenstände in einer Genfer Privatbank; zwei Usbeken wurden zeitweise verhaftet, aber dann wieder gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt. Der zweite Skandal hat das Zentrum Schweden: Das Schwedische Fernsehen SVT berichtet in der Sendung „Auftrag: Investigation“ seit Sommer 2012 über eine obskure Zahlung der größten schwedischen Mobilfunkgesellschaft Teliasonera an die Offshore-Firma Takiland auf Gibraltar in Höhe von knapp 350 Millionen US-Dollar. Sie diente dazu, Teliasonera den Zugang zum usbekischen Mobilfunkmarkt zu sichern. Takiland gehört der blutjungen Armenierin Gayane Avakian, die bis dahin vor allem Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, als sie bei Modeübungen von Gulnara Karimowa posierte, der ältesten Tochter des usbekischen Diktators Islam Karimow. Ein Teil des Geldes, um das es im ersten Skandal geht, soll aus diesen Überweisungen stammen.

Autor

Marcus Bensmann

ist freier Journalist und lebt in Almaty in Kasachstan.

Die 41-jährige Gulnara Karimowa, die in den vergangenen Jahren vor allem als Sängerin und Schmuck- und Modedesignerin zu reüssieren suchte, steht im Mittelpunkt beider Skandale. Sie dementiert über Twitter und in lancierten Interviews jegliche Beteiligung an den zweifelhaften Geldflüssen. Doch schon zu Beginn des ersten Skandals gab es Hinweise auf eine Verwicklung der usbekischen Präsidententochter: Nach der Verhaftung der zwei Usbeken in Genf gab es im August 2012 „spontane“ Demonstrationen vor der Schweizer Vertretung in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Frauen in hochhackigen Schuhen, Sonnenbrillen und Designerkleidern warfen der Schweiz Verfolgung von Muslimen vor und forderten, die Inhaftierten freizulassen. Die usbekische Polizei griff nicht ein. Usbekistan ist einer der repressivsten Polizeistaaten weltweit; eine Versammlung von Fäuste schwingenden Frauen vor einer Botschaft ist schlicht undenkbar ohne direkten Auftrag von oben. Im März dieses Jahres präsentierte zudem das Schwedische Fernsehen Dokumente mit handschriftlichen Anweisungen über das Bestechungsprozedere. Die Handschrift stammt nach Aussagen von Graphologen mit größter Wahrscheinlichkeit von Gulnara Karimowa selbst.

Trotz der schweren Menschenrechtsverletzungen ist Usbekistan einer der wichtigsten Partner des Westens

Die schwedische Mobilfunkgesellschaft wehrt sich gegen den Bestechungsvorwurf, doch die Erkenntnisse der schwedischen Journalisten stellen die entlastenden Aussagen in Frage. Bekannt wurde zudem, dass Teliasonera eifrig die usbekische Stiftung FundForum sponsert. Die Stiftung, eine Gründung von Gulnara Karimowa, ist angeblich gemeinnützig tätig – sie unterstützt von der Kunst bis zur Jugend. In Wahrheit hat sie wie ein Krake das gesamte Kultur- und Kunstleben in dem zentralasiatischen Land durchzogen. Ein usbekischer Geschäftsmann berichtet anonym, dass FundForum regelmässig „freiwillige“ Spenden von Unternehmen verlangt. „Wer sich weigert, bekommt Probleme“, weiß er zu berichten.

Dass es in dem zentralasiatischen Staat nicht mit rechten Dingen zugeht, müsste auch den schwedischen Managern bekannt gewesen sein. Im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International rangiert Usbekistan jedes Jahr unter den weltweit korruptesten Regimen. Unter Präsident Islam Karimow, der das Land seit 1989 mit harter Hand regiert, ist das gesamte Wirtschaftsleben zu einer Privatangelegenheit der Herrscherfamilie geworden. Es gibt keinerlei Ansätze einer unabhängigen Bürgergesellschaft oder Medienlandschaft. „Usbekistan ist nicht nur eine politische Diktatur, sondern eine wirtschaftliche“, bemerkt der Analyst der International Crisis Group, Robert Templer; die Staatmacht jage nicht nur Journalisten und Oppositionelle, sondern auch die Zwiebelverkäuferin auf dem Basar.

Trotz der schweren Menschenrechtsverletzungen ist Usbekistan einer der wichtigsten Partner des Westens. Hier verläuft die Nordversorgungsroute der Nato für den Afghanistankrieg, und auch der Rückzug soll über das zentralasiatische Land erfolgen. Die Bundeswehr unterhält in der südusbekischen Stadt Termes an der Grenze zu Afghanistan eine Militärbasis für den Afghanistaneinsatz. Weder das Massaker von Andischan, als der usbekische Präsident 2005 einen Aufstand gegen die Willkürherrschaft in der Provinzstadt blutig niederschlagen ließ, noch der Einsatz von Folter, den die UN als „systematisch“ bezeichnen, oder die vom Staat erzwungene Kinderarbeit zur Baumwollernte können die Partnerschaft des Westens mit dem Herrscher in Taschkent trüben. Die geopolitische Bedeutung schützt das Regime in Taschkent auch vor allzu harscher Kritik aus Europa und den USA an seinen wirtschaftlichen Raubzügen.

Gulnara Karimowa lernte früh, wie das Finanzspiel des Vaters funktioniert

Mit den Einschränkungen des Devisenumtauschs und der Devisenausfuhr Ende der 1990er Jahre schuf Karimow einen Hebel, um sich die Unternehmer zu unterwerfen. Nur bei völliger Hörigkeit gegenüber der Staatsmacht ist es möglich, die im Land erwirtschaften Gewinne gegen harte Devisen zu tauschen und auszuführen. Und der Staat sind Karimow und seine Familie – vor allem die Töchter Gulnara und Lola. „Das Land ist nichts anders als ein Familienbetrieb mit milliardenschweren Umsätzen“, analysiert der Journalist Scott Horton von „Harper’s Magazine“.

Die Korruption füllt direkt die Taschen der Herrscherfamilie. Anders als andere postsowjetische Staaten kennt Usbekistan keine Oligarchen, die wegen ihres erwirtschafteten Reichtums eine eigenständige politische Position hätten. Es gibt zwar regelrechte Superreiche, doch deren Kapital verschafft ihnen keine Unabhängigkeit, sondern bindet sie nur fester an die Familie des Machthabers.

Karimow gewährt und entzieht Pfründen. Solange ein Minister die Gunst des Präsidenten hat, kann er sich hemmungslos bereichern; verliert er sie, muss er ins zweite Glied, darf aber den Reichtum behalten. Dies ist das Grundschema der usbekischen Machtarithmetik, die auch zum Verständnis der jüngsten Geldskandale beiträgt. Keiner kann in dem zentralasiatischen Land derartige Millionensummen für Geschäfte bewegen, ohne die direkte Weisung dafür von Karimow oder dessen Familie erhalten zu haben.

Gulnara Karimowa lernte früh, wie das Finanzspiel des Vaters funktioniert. 2002 floh ihr Finanzberater Farhod Inogambajew nach New York. Auf Basis der von ihm mitgenommenen Dokumente veröffentlichte die „Financial Times“ 2003, wie Gulnara Karimowa Wirtschaftszweige wie Mobilfunkgesellschaften kaperte. Der Usbeke Inogambajew erzählte ein kleines Beispiel: Gulnara Karimowa eröffnete direkt neben einem angesagten Restaurant in Taschkent einen Club und verlangte vom Betreiber der bereits etablierten Einrichtung, auch die neue zu betreiben und eine Pacht von monatlich 10.000 US-Dollar zu zahlen. Als der zu erklären versuchte, dass dies nicht ginge, musste sein Restaurant wenige Monate später einem Parkplatz weichen. Auch wenn das vor dem Hintergrund der anderen Milliardengeschäfte als Petitesse wirkt, erklärt es doch, warum Karimowa in den auf Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen als „Räuberbaronin“ bezeichnet wird. Mit den beiden jüngsten Skandalen werden die Spielräume für Dementis für sie enger.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2013: Zentralasien – Als Partner umworben
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