Die Frohe Message

Kirchen und Geistliche verbreiten ihre Botschaften zunehmend über das Internet. Die Folgen sind zwiespältig. Gemeinden können so im Alltag begleitet und Außenstehende erreicht werden. Aber das Internet fördert auch den Konsum religiöser Inhalte nach persönlichen Vorlieben, und der ständige Nachrichtenstrom kann Geistliche überfordern.

Soziale Medien gewinnen immer mehr Einfluss. Auch Kirchen weltweit machen sie sich zunehmend zu eigen. Eine wachsende Zahl von Gemeinden nutzt etwa digitale Medien, um für ihre Organisation zu werben und ihre wichtigsten Zielgruppen zu erreichen: Geldgeber, Mitarbeiter, Gläubige und religiös Suchende. Was bedeutet die entstehende digitale Kultur für Religionsgruppen? Verändert etwa der Aufstieg von Mikroblogs und sozialen Medien die Bedeutung von Gemeinschaft und Autorität in der Religion und die Organisationskraft der Kirche?

Kirchen entwickeln ein großes Repertoire an Kommunikationskanälen, um Gemeinschaft aufzubauen, die auf Glaubensüberzeugung und sozialen Beziehungen gründet. Vor allem große Gemeinden oder Megakirchen in Asien und Nordamerika präsentieren die Inhalte auf ihren Websites in vielfältiger Form – als Text, Grafiken, Videos und Podcasts sowie als Updates aus sozialen Medien. Dieser Medien-Mix wird oft eingesetzt, um für kirchliche Veranstaltungen und Programme Werbung zu machen und Internet-Nutzern eine Vielzahl von Inhalten nahe zu bringen, die die Kirche erstellt hat oder unterstützt. Dazu zählen auch kirchliche Lehren, Gebete und Riten.

Autorin

Dr. Pauline Hope Cheong

ist Dozentin an der Hugh Downs School of Human Communication, Arizona State University. Sie erforscht die sozialen Auswirkungen von Kommunikationstechnologien, unter anderem auf religiöse Autorität und Gemeinschaft.

Weiter benutzen Leiter von Kirchen und Gemeinden selbst Mikroblogging-Plattformen wie Twitter oder beauftragen in gut ausgestatteten Gemeinden Mitarbeiter damit, Updates für sie hochzuladen. Meine Interviews mit mehr als 100 Leitern religiöser Gemeinschaften im Laufe der Jahre haben gezeigt, dass viele von ihnen ihre eigenen Websites, Blogs, Mikroblogs und sozialen Netzwerke im Internet eingerichtet hatten oder Interesse daran bekundeten. Einige erklärten, für sie sei Mikroblogging eine weitere Gelegenheit zur Seelsorge, über die sie Ungläubige, Suchende und Mitglieder mit Hilfe von ermutigenden und erbaulichen kurzen Updates und Nachrichten erreichen. Andere sagten, für sie seien die sozialen Medien ein Mittel, um ihre Kirchenmitglieder geistlich zu stärken und den Alltag der Menschen (wieder) zu heiligen – über die Backsteinmauern und die persönlichen Begegnungen in der Gemeinde hinaus.

Interessanterweise sind einige Geistliche überzeugt, ihre Kommunikation über Medien sei von entscheidender Bedeutung für ihre Rolle als religiöse Führer in der Gegenwartskultur und in Medienräumen, in denen Vertrauen und Glaubwürdigkeit zunehmend online und über verschiedene Medien aufgebaut werden. So betonte eine erhebliche Zahl von ihnen, wie wichtig es sei, dass sie über soziale Medien ihre eigene Schriftauslegung verbreiteten. Sie könnten so ihrer Gemeinde inmitten der Pluralität der online verfügbaren religiösen Weltsichten und Informationen Orientierung geben.

Die Nutzung von sozialen Medien macht es Geistlichen möglich, Ziele zu verfolgen, die untereinander in Spannung stehen. Einerseits ermutigen sie Gemeindemitglieder, das Internet für ihre Glaubensfragen aktiv aufzusuchen und zu nutzen – manchmal sogar dazu, während des Gottesdienstes über soziale Medien und Tweets Fragen zu stellen oder Gedanken mitzuteilen. Andererseits wollen Geistliche ihren Einfluss und ihre Autorität stärken, indem sie Online- und Offline-Texte strategisch aufeinander abstimmen und ihre Anhänger zu ihren eigenen orthodoxen Auslegungen hinführen.

Die Nutzung sozialer Medien kann verschiedene Auswirkungen auf religiöse Gemeinschaft, religiöse Identität und religiöse Autorität haben. Im Zentrum stehen zwei anscheinend unvereinbare und doch nebeneinander bestehende Interessen. Personen, die über das Internet vernetzt sind, können online viele verschiedene und flüchtige Kontakte haben und religiöse Inhalte nach Bedarf und nach ihrem persönlichen Empfinden „konsumieren“. Gleichzeitig besteht das Interesse (einige würden sagen, ein von der Bibel hergeleitetes Gebot), physisch zusammenzukommen und in örtlichen Gotteshäusern mit Brüdern und Schwestern im Geiste Gemeinschaft zu erleben. Daher stellt sich die Frage, wie soziale Medien gestaltet werden können, um beides in Einklang zu bringen und zu steuern. Mikroblogging kann dazu beitragen, den persönlichen Glauben zu vertiefen, wenn Kirchen online Räume einrichten, die Interaktionen und die Treue zu Gruppen und Normen der örtlichen Gemeinde befördern.

Nach meinen Forschungen wandeln sich gegenwärtig religiöse Organisationen, und das Internet erleichtert möglicherweise bis zu einem gewissen Grad Veränderungen in der persönlichen und organisatorischen Basis der Arbeit von Gemeindeleitern. So fühlen sich manche von ihnen gedrängt, in ihrer Unterweisung, ihrer Predigt und im Kontakt mit ihren Laienmitarbeitern digitale Technologien einzusetzen. Doch eben diese Vernetzung über soziale Medien führt oft dazu, dass sie sich gestresster fühlen. Die Notwendigkeit, schnell auf Updates in sozialen Medien und auf Anfragen zu reagieren, kann den Rhythmus ihres Alltags stören. Gleichzeitig ermöglicht der strategische Einsatz dieser Medien einigen Geistlichen die Entwicklung unverwechselbarer „Glaubens-Marken“, um ihre Mission zu propagieren und mehr ehrenamtliches Engagement und Beteiligung in der Kirche anzuregen – das kann ihre Führung stärken und das Gemeindewachstum fördern.

Während viele in der sogenannten Ersten Welt die Schwierigkeiten einer vernetzten Existenz erfahren, bleiben auch den Menschen in den Entwicklungsregionen die Auswirkungen der digitalen Vernetzung und/oder des Fehlens von Internetzugang nicht erspart. Im Gegensatz zu den frühen utopischen Visionen über das Internet und den heute populären Vorstellungen, die das Web 2.0 und Web 3.0 mit persönlicher Emanzipation und ungehinderter Mitwirkungsmöglichkeit verbinden, kann die Nutzung sozialer Medien sehr fordernd, unberechenbar und problematisch sein und äußerst strapaziös für Organisationen oder Personen. Das fordert uns dazu auf, über einen bewussteren Umgang damit nachzudenken.

Über die anfängliche Attraktivität sozialer Medien hinaus heben Schlagworte wie „digitale Welt rund um die Uhr“, „ständige Vernetzung“ und „Online-Kommunikation über mehrere Kanäle“ die Vorteile des Zugangs zum Internet hervor. Zugleich stellen sie aber die unmittelbare und langfristige Funktionsfähigkeit des digitalen Lebens infrage. Insbesondere global betrachtet wird die Frage der Nachhaltigkeit relevant, wenn es um die Interaktion mithilfe von Kommunikationstechnologien geht.

Auf einer Konferenz zum Thema „Wired Asia“ (Verkabeltes Asien) vor einigen Monaten berichteten mehrere Teilnehmerinnen aus Entwicklungsländern, wie die Auslagerung technischer Aufgaben (einschließlich Call-Center-Diensten) an Arbeiter in Südost- und Südasien den Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit beeinträchtigt. Viele müssen lange Arbeitszeiten auf sich nehmen und verbringen ihre Nächte im Schichtdienst im Büro oder in Wohnheimen, weit weg von ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft. Das hat psychischen Stress und auch körperliche Probleme zur Folge.

Diese Arbeiterinnen und Arbeiter leiden unter den körperlichen Auswirkungen einer sitzenden Beschäftigung in der Informationstechnologie, bei der sie nur selten ins Freie kommen. Sie haben wenig Bewegung, ernähren sich mangelhaft und sitzen in beengten, häufig verrauchten Räumen, während sie versuchen, rund um die Uhr Dienstleistungen für Verbraucher in reicheren, industrialisierten Teilen der Welt wie Nordamerika zu erbringen. Auf der anderen Seite leiden die in industrialisierten Regionen mit einer sehr guten IT-Infrastruktur möglicherweise unter Ängsten und steigenden Kosten, weil sie mit den ständigen Veränderungen, die mit dem Verkauf neuer technischer Spielereien, Software und mobiler Anwendungen einhergehen, Schritt halten müssen.

Das zunehmende Phänomen der „Internetsucht“ betrifft auch die Kirche. Mehrere Gemeindeleiter berichteten mir, dass es unter ihren Gemeindemitgliedern zu digitalen Exzessen komme, die sich in pausenlosen und unkontrollierbaren Internetspielen und im Konsum von Internetpornografie zeigten. Einige haben beobachtet, wie die Nutzung technischer Medien ihr Familienleben beeinflusst. So erzählte ein Pastor, wie sehr ihn die Feststellung beunruhigt, dass er seiner Frau im Nachbarzimmer eher eine E-Mail oder SMS schreibt, als mit ihr zu sprechen. Verschiedene Geistliche wiesen darauf hin, dass „Fasten“ im Umgang mit digitalen Medien wichtig sei – nach dem Vorbild anderer, traditioneller Enthaltsamkeitsübungen, die mit der Entwicklung spiritueller Übungen wie Einsamkeit und Genügsamkeit verbunden waren.

Interessanterweise handelt das längste der Zehn Gebote von der gewissenhaften „Heiligung des Sabbats“. Zeitgemäß ausgedrückt könnte diese geistliche Vorschrift eine zumindest wöchentliche, bewusste und meditative Abkoppelung vom unablässigen Strom digitaler Daten bedeuten. Anders gesagt, eine regelmäßige und bewusste Unterbrechung der digitalen Verbindung, die eine gezielte Wiederaufnahme dieser Verbindung ermöglicht.

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik
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