Vom Terrorismus wird behauptet, er habe mit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine ganz neue Qualität gewonnen. Der alte Terrorismus sozialrevolutionärer und ethnisch-nationaler Provenienz wie der deutschen RAF oder der nordirischen IRA sei auf eine straffe nationale Organisation, klare Kommandostrukturen und politische Disziplin bedacht gewesen. Der neue, insbesondere islamisch-fundamentalistische Terrorismus hingegen komme ohne zentrale Führungsstruktur aus, sei nur schwach organisiert und eher in der Lage, unterschiedliche ideologische Richtungen unter einem Dach zu vereinen. Vor allem die transnationale Vernetzung lokaler Terrorgruppen habe den islamischen Terrorismus zu einer globalen Bedrohung werden lassen.
Autor
Christopher Daase
ist Professor für Politikwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.Doch bei genauerer Betrachtung fallen die Unterschiede zwischen dem alten und neuen Terrorismus weniger drastisch aus. Weder waren in der Vergangenheit alle Terrorgruppen hierarchisch organisiert, noch haben alle zeitgenössischen eine Netzwerkstruktur. Weder folgten alle „alten“ Terrorgruppen einer säkularen politischen Ideologie, noch ist der „neue“ Terrorismus ausschließlich transzendenten Zielen verpflichtet. Und vor allem: Terrorgruppen haben schon immer über Grenzen hinweg kooperiert.
Die weltweite terroristische Bedrohung hat sich gegenüber früher kaum verschärft. Das soll nicht heißen, dass der islamische Terrorismus keine Gefahr darstellt. Aber er entwickelt sich nicht so dramatisch, wie insbesondere amerikanische Experten behaupten. Die jüngsten Zahlen von Europol stützen diese Einschätzung. Sie zeigen, dass 2010 von 249 gemeldeten Terroranschlägen in Europa 160 von separatistischen Gruppen, 45 von linksgerichteten Terrorgruppen und drei von islamischen Terroristen verübt wurden.
Die Tatsache, dass sich das Terrorismusproblem gemessen an der Zahl der Anschläge und Opfer kaum verschärft hat, ist freilich auch eine Folge erfolgreicher Terrorismusbekämpfung. Die internationale Zusammenarbeit gegen Terrorismus wurde in der Vergangenheit immer dann verstärkt, wenn die transnationale Kooperation von Terrorgruppen deutlich zugenommen hat.
Der Ursprung des modernen Terrorismus liegt am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa, als sich dort der Anarchismus entwickelte. Ausgehend von russischen Adligen wie Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin, die auf die gewaltsame Modernisierung des zaristischen Regimes setzten, entstand eine transnationale Bewegung, die auf dem internationalen Kongress 1881 in London die „Propaganda der Tat“ ausrief: Sabotageakte gegen Institutionen und Anschläge auf Staatsvertreter sollten die mündliche und schriftliche Propaganda ablösen und eine Revolte oder gar Revolution auslösen.
Das 1866 erfundene Dynamit gab den Anarchisten die Möglichkeit, auch mit kleinen Anschlägen eine große Wirkung zu erzielen. Zudem gewannen anarchistische Ideen zeitweise großen Zulauf. Vor allem aber entstand mit der Pariser Commune 1871, der Jura Federation 1872 und der International Working People’s Association 1881 ein Netzwerk aus anarchistischen Organisationen, deren Ideologie sich zunehmend radikalisierte, nachdem sie auf der Ersten Internationalen 1873 in Den Haag ausgeschlossen und von den straff organisierten marxistischen und sozialistischen Gruppen zunehmend marginalisiert wurden. In der Folge entwickelte sich der Anarchismus als transnationale Bewegung einerseits in Russland mit Anschlägen auf dem Balkan, in Polen und Finnland, andererseits in Italien und Deutschland mit großer Ausstrahlung und Anschlagsserien in den USA.
Was ist Terrorismus?
Kaum ein politischer Begriff ist so umstritten wie der des Terrorismus. Am ehesten lässt er sich als Strategie definieren, durch Angst und Schrecken politische Zwecke zu erreichen. Denn während „Terror ...
Im Zuge der Gewaltexzesse der Weltkriege verlor der Anarchismus an Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann der Terrorismus zunächst im Rahmen der Dekolonisierung wieder Relevanz. In den 1950er Jahren ging die Algerische Befreiungsfront FLN in ihrem Kampf gegen die französischen Kolonialtruppen zu Terroranschlägen über, um ihrem Befreiungskampf internationale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ende der 1960er Jahre begannen auch palästinensische Gruppen damit, ihren Kampf gegen Israel zu internationalisieren und mit Flugzeugentführungen politischen Nachdruck zu verleihen.
Der Antikolonialismus bildete den Hintergrund, vor dem sich Ende der 1960er Jahre in zahlreichen europäischen Staaten, aber auch in den USA und Japan, einheimische Terrorgruppen bildeten, um mit politischer Gewalt gegen Kolonialismus, Imperialismus und die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zu kämpfen. In der Bundesrepublik bildete sich als prominenteste Gruppe 1968 die Baader-Meinhof-Gruppe, die sich ab April 1971 Rote Armee Fraktion (RAF) nannte. Ebenfalls dem „antiimperialistischen Kampf“ verschrieben hatte sich die 1979 gegründete französische Action Directe (AD), die Mitte der 1980er Jahre hohe französische Militärs und Industriemanager ermordete. Ähnliche Gruppierungen entstanden mit den Brigate Rosse in Italien, den Cellules Communistes Combattantes (CCC) in Belgien und der Gruppe 17. November in Griechenland.
Die transnationale Zusammenarbeit dieser Gruppen liegt noch weitgehend im Dunkeln. Bislang sind sie meist national isoliert betrachtet worden. Gerade für den europäischen Linksterrorismus war die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aber zentral: Ohne die Verbindung zu linken Gruppen in Italien wäre es der RAF viel schwerer gefallen, an Waffen zu gelangen; ohne Kontakte nach Belgien und Frankreich hätte sie dem Fahndungsdruck in Deutschland nicht standhalten können; und vor allem ohne die Beziehungen zu den Splittergruppen der PLO hätte die RAF sich nach größeren Anschlägen und strategischen Niederlagen nicht in den Nahen Osten zurückziehen und regenerieren können. In den 1980er Jahren gewann der europäische Linksterrorismus durch die Kooperation zwischen der RAF, der französischen Action Directe und den belgischen CCC eine neue Qualität. Das spornte zugleich die Europäische Gemeinschaft an, bei der Bekämpfung des Terrorismus enger zusammenzuarbeiten.
Die Sorge, dass die sporadische Zusammenarbeit europäischer Terrorgruppen zu einer strategischen Kooperation ausgebaut werden könnte, wurde 1985 akut, als RAF und Action Directe ein gemeinsames Kommuniqué „Für die Einheit der Revolutionäre in Westeuropa“ verfassten. Doch war dies weniger der Auftakt für eine europaweite Offensive als ein letztes Aufbäumen einer bereits geschlagenen Bewegung: 1987 wurden die führenden Mitglieder der Action Directe gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt; 1992 entschied sich die RAF, die „Eskalation zurückzunehmen“, und 1998 gab sie ihre Selbstauflösung bekannt.
Seither gilt der sogenannte islamistische Terrorismus als größtes terroristisches Sicherheitsrisiko. Anfang der 1990er Jahre gründeten algerische Islamisten zunächst in Frankreich, später auch in Italien, Deutschland und Belgien logistische Brückenköpfe, um den Guerillakrieg in ihrer Heimat zu unterstützen. Zunehmend richteten sich ihre Aktivitäten aber auch gegen europäische Staaten. Im Dezember 1994 sollte ein von Algier kommender Airbus entführt und in den Eiffelturm gestürzt werden, was von französischen Sondereinheiten in Marseille verhindert werden konnte. Danach erfasste Frankreich 1995 eine Welle islamischer Terroranschläge. Die Anschläge in Madrid (2004) und London (2005) zehn Jahre später und nicht zuletzt die Aktivitäten der Sauerlandgruppe in Deutschland zeigen einen neuen Trend zum so genannten „hausgemachten Terrorismus“. Er wird von Tätern geplant und ausgeübt, die in den jeweiligen Zielländer aufgewachsen sind und sich nur noch vage auf das von Osama bin Laden geschaffene Netzwerk Al-Qaida als politischen Referenzpunkt berufen.
Die transnationale Zusammenarbeit kann die Schlagkraft von Terrororganisationen erheblich erhöhen. Wenn Terrorgruppen die Anschläge anderer rechtfertigen oder im Namen anderer Gruppen handeln, soll die Angst erzeugende Wirkung der Anschläge gesteigert werden. Als isolierte Gewaltakte wären die Anschläge von Madrid und London weniger wirksam gewesen, als sie es als Taten einer (imaginären) Terrororganisation Al-Qaida tatsächlich waren. Auch die RAF verfolgte diese Absicht, als sie die Anschläge auf jüdische Sportler während den Olympischen Spielen 1972 rechtfertigte. Allerdings überspannte sie den Bogen symbolischer Kooperation, als sie einen ihrer Anschläge nach einem getöteten IRA-Kämpfer nannte: Die IRA verbat sich das und wies jede Nähe zum deutschen Linksterrorismus zurück.
Mitunter erarbeiten Terrororganisationen ein gemeinsames Programm, formulieren gemeinsame Ziele und verfassen Erklärungen: Es entsteht eine neue transnationale Kraft. Dabei können Aktionen gemeinsam geplant, aber getrennt ausgeführt werden, wie die Landshut-Entführung von 1977, die von der RAF mit geplant, aber von der palästinensischen Volksfront zur Befreiung Palästinas allein ausgeführt wurde. Oder es handelt sich um Gemeinschaftsaktionen wie den Anschlag auf die Rhein-Main-Air-Base 1985 der RAF und der Action Directe.
Im Falle des islamistischen Terrorismus stellt die 1998 proklamierte „World Islamic Front Against the Jews and Crusaders“, die ein Bündnis zwischen Al-Qaida und Al-Jihzad sowie Gamaa al-Islamiyya aus Ägypten besiegelte, eine strategische Kollaboration dar. Unter dem Verfolgungsdruck der vergangenen Jahre hat sich diese Zusammenarbeit aber wieder gelockert. Die Gamaa al-Islamiyya sagte sich 2003 sogar vom Terrorismus los und gründete eine politische Partei.
Terrorgruppen profitieren auch von der Zusammenarbeit mit Staaten. Diese können Terrororganisationen großzügig finanziell unterstützen und sie wirksam vor Verfolgung schützen, auch in befreundeten Ländern. Allerdings werden die Terrorgruppen damit abhängig und verlieren einen Teil ihrer Handlungsfreiheit. Zudem ist die Kooperation nicht zuverlässig, denn Staaten können durch internationalen Druck gezwungen werden, die Unterstützung zu beenden und die zuvor Protegierten auszuliefern. Osama bin Laden entging diesem Schicksal nur knapp, indem er sich 1996 aus dem Sudan absetzte und ein neues Hauptquartier in Afghanistan bezog.
Die RAF suchte zunächst die Kooperation mit Staaten der Dritten Welt, die sich selbst in einem Befreiungskampf behauptet hatten, also Kuba, Vietnam und Nordkorea; sie fand aber vor allem in arabischen Staaten wie Jordanien, dem Irak, Libyen, Syrien und Südjemen Zuflucht. Daneben spielten die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten eine wichtige Rolle. Die DDR bot Aussteigern bis zur Wende einen sicheren Unterschlupf und der RAF die Gewissheit, nicht verraten zu werden. Das prominenteste Beispiel staatlicher Unterstützung ist Afghanistan, das unter der Taliban-Regierung Al-Qaida einen sicheren Zufluchtsort bot. Auch von anderen Staaten ist bekannt oder wird vermutet, dass sie Terrororganisationen unterstützen. Unter Muammar al-Gaddafi unterhielt Libyen Kontakte zu zahlreichen Terrorgruppen und vom Iran wird seit Jahren behauptet, er finanziere die Hisbollah im Libanon und andere Terrorgruppen. Allerdings ist das Argument, Staaten unterstützten Terroristen, häufig missbraucht worden. Die USA rechtfertigten ihre Invasion des Irak 2003 unter anderem mit der nie belegten Behauptung, der Irak unterhalte Beziehungen zu Al-Qaida.
Schließlich kommen für Terrorgruppen auch Kooperationspartner in Frage, die ganz andere Ziele verfolgen. Zu denken ist an Terrorgruppen, die ideologisch anders ausgerichtet sind oder Gruppen, die keine Gewalt anwenden. Eine Kooperation zwischen ideologisch unterschiedlichen Gruppen hat offenbar zwischen der IRA und iranischen und kolumbianischen Terrorgruppen stattgefunden, die gemeinsame Trainingslager in Kolumbien unterhielten. Während des Kosovokrieges wurde eine andere Form transnationaler Kooperation entdeckt, bei der kosovarische Terrororganisationen mit dem organisierten Verbrechen und der Drogenmafia zusammenarbeiteten. Allerdings kam es nicht, wie befürchtet, zu einer dauerhaften Allianz, weil die politischen und ökonomischen Interessen zu unterschiedlich waren.
Eine besonders besorgniserregende Kooperation wurde zwischen Al-Qaida und dem Atomschmuggelnetzwerk des Abdul Kadir Khan bekannt, des „Vaters der pakistanischen Atombombe“. Osama bin Laden hatte schon 1998 versucht, Kontakt zu Khan aufzunehmen, um an Bauanleitungen für Nuklearwaffen zu kommen, die der bereits an Nordkorea und den Iran weitergegeben hatte. Angeblich wies Khan die Avancen bin Ladens zurück.
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