Im Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) bekommen die EU-Mitgliedstaaten Emissionsrechte zugeteilt, die sie dann an ihre Industrieunternehmen weitergeben. Diese kommen damit entweder aus, oder aber sie müssen bei anderen Unternehmen, die weniger Treibhausgase ausstoßen, als sie dürfen, welche zukaufen. Der springende Punkt des ETS ist, dass die Gesamtmenge der erlaubten Emissionen schrittweise gesenkt wird: Bis 2020 soll der Treibhausgasausstoß der EU um ein Fünftel sinken.
Autor
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".Es gibt aber einen Haken: Der Handel in Europa ist nicht in sich geschlossen. Europäische Unternehmen dürfen nicht nur ungebrauchte ETS-Zertifikate zukaufen. Sie können auch Gutschriften des „Clean Development Mechanism“ der UN erwerben: Dazu investieren sie in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern und dürfen sich die Emissionen, die dadurch eingespart werden, auf ihr eigenes Konto gutschreiben.
Diese Möglichkeit war von Anfang an ins ETS eingebaut, gedacht als eine Art Druckventil. Inzwischen ist es zu einem riesigen Leck geworden. In den Jahren 2008 und 2009, zu denen bisher Daten zugänglich sind, haben die Unternehmen in der EU CDM-Zertifikate im Umfang von 12 Prozent der gesamten ETS-Zertifikate zugekauft – das ist mehr als das Doppelte dessen, was im gleichen Zeitraum in der EU eigentlich hätte eingespart werden sollen.
Da wegen der Wirtschaftskrise im gleichen Zeitraum fast alle Industrieunternehmen in der EU weniger Treibhausgase ausgestoßen haben, als ihnen im Rahmen der ihnen zugeteilten Menge an ETS-Zertifikaten erlaubt war, konnten sie beträchtliche Rücklagen anhäufen: Zusammen mit den
zusätzlichen CDM-Zertifikaten schätzen einige Experten das Polster auf eine volle Jahresquote der zukünftigen ETS-Zuteilungen. Der Stahlkonzern Arcelor-Mittal zum Beispiel verfügt derzeit über eine Reserve an Emissionszertifikaten im Wert von einer dreiviertel Milliarde Euro. Dabei handelt es sich um reine Extraprofite auf Kosten des Klimas: erstens weil die Emissionsrechte im Rahmen des ETS bislang kostenlos zugeteilt wurden, zweitens weil der Preis für CDM-Zertifikate unter dem von ETS-Rechten liegt und erstere deshalb im europäischen Handel mit Gewinn weiterverkauft werden können.
Bei vielen CDM-Projekten ist unklar, ob sie „zusätzlich“ sind
Hinzu kommt, dass der Clean Development Mechanism selbst in den vergangenen Jahren stark in die Kritik geraten ist: Umweltorganisationen monieren zum einen, dass bei vielen Projekten nicht klar festgestellt werden kann, ob sie auch ohne die Förderung im Rahmen des CDM verwirklicht worden wären. Das ist aber wichtig, denn nur wenn ein Projekt dank der CDM-Förderung „zusätzlich“ ist, ist es klimapolitisch vertretbar, den Investoren dafür Emissionsgutschriften zu geben.
Zum anderen fließt nur ein kleiner Teil der über den CDM kanalisierten Investitionen in eine klimafreundliche Energieversorgung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Einen großen Teil erhält die chemische Industrie vor allem in China und Indien zur Beseitigung von klimaschädlichen Abfallgasen, die bei der Produktion anderer Stoffe entstehen. So entfallen 60 Prozent der von EU-Unternehmen erworbenen CDM-Zertifikate auf die Beseitigung einer Fluor-Verbindung namens HFC-23, die bei der Herstellung von Kältemitteln für Klimaanlagen entsteht. Weil die Beseitigung des Abfallgases viel weniger kostet als die CDM-Zertifikate, die die Kältemittel-Hersteller verkaufen dürfen, streichen diese fette Gewinne ein. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Verfahren die Herstellung nicht nur von Kältemitteln, sondern auch des Abfallgases zusätzlich anheizt. Die europäischen Unternehmen profitieren davon. weil sie so an günstige Emissionsgutschriften gelangen.
Im August vergangenen Jahres hatte EU-Umweltkommissarin Connie Hedegaard zugesagt, diesen Missstand zu stoppen und in der dritten Phase des Europäischen Emissionshandels ab 2013 CDM-Zertifikate aus HFC-23-Projekten nicht mehr zuzulassen. Im November legte Hedegaard einen entsprechenden Vorschlag für eine Richtline vor, der Ende Januar von den EU-Mitgliedern ohne wesentliche Änderungen angenommen wurde. Allerdings hatte die europäische Industrie-Lobby zuvor starken Druck auf Brüssel ausgeübt – mit einigem Erfolg: Vor allem die Kommissionsabteilung für Unternehmen widersetzte sich in vielen Punkten den Entwürfen der Klima-Direktion. Es ist abzusehen, dass auch im Parlament, das über die Richtlinie entscheiden muss, zahlreiche Hürden aufgebaut werden.
Neuen Kommentar hinzufügen