„Die Kirche gibt Diskriminierung nicht zu“

Seit 1998 bemüht sich das Netzwerk EDAN darum, Bewusstsein dafür zu wecken, dass Menschen mit Behinderungen ein unentbehrlicher Teil der kirchlichen Gemeinschaft sind.

Samuel Kabue kennt das. Angst, Mitleid und Unbehagen: So reagieren viele auf behinderte Menschen. „Wir werden nicht als gleichberechtigt betrachtet“, sagt Kabue, der mit 16 Jahren nach einer Augenkrankheit blind wurde. „So geraten wir in eine untergeordnete Position. Wir werden zu Objekten – der Verachtung oder der Fürsorge.“ Solche Einstellungen halten sich hartnäckig. Seit Jahren arbeitet der Pädagoge aus Kenia daran, sie zu verändern: Als Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerkes für behinderte Menschen (Ecumenical Disability Advocates Network – EDAN), einem Programm des Weltkirchenrates, und als Kämpfer für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seiner Heimat.

Kabue nimmt kein Blatt vor den Mund. „Die Kirche wird niemals zugeben, dass sie Menschen mit Behinderungen ausschließt“, sagt er. „Aber für mich ist es eine Diskriminierung, wenn ein Rollstuhlfahrer wegen der Treppen keinen Zugang zur Kirche hat, wenn ein Blinder die Gebete nicht mitlesen oder ein Tauber die Predigt nicht verstehen kann.“ Diskriminierung, sagt er trocken, sei allerdings auch eine Frage von Status und Geld. Wenn ein behinderter Mensch es geschafft habe, die soziale Leiter zu erklimmen und einen gut bezahlten und angesehenen Job zu finden, erfahre er nur selten Demütigung oder Erniedrigung. Gelinge ihm das nicht, sei er hingegen „wirklich arm“. Niemand nehme Notiz von ihm, auch die Kirche nicht, meint Kabue.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Seit 1998 bemüht sich sein Netzwerk darum, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass Menschen mit Behinderungen ein unentbehrlicher Teil der kirchlichen Gemeinschaft sind. „Wir müssen alle gemeinsam am Abendmahlstisch Platz haben“, betont Kabue. „Auch das Leben von behinderten Menschen ist eine Gabe Gottes.“ Doch schon die Bibel lässt viel Raum für Interpretation: An einigen Stellen straft Gott Ungehorsam mit Behinderung, an anderen verkündet er kranken und behinderten Menschen eine Botschaft der Hoffnung. „Das ist eine Herausforderung für die Theologie, der sich die Kirchen stellen müssen“, fordert der EDAN-Geschäftsführer.

Vor sieben Jahren hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) ein von EDAN erarbeitetes Positionspapier mit dem Titel „Kirche aller“ veröffentlicht. Darin werden Versäumnisse im Umgang mit Menschen mit Behinderungen benannt und der Wille wird unterstrichen, daran etwas zu ändern,. Seitdem habe sich vieles getan, berichtet Kabue. Als Beispiel nennt er die Einführung von Seminaren über Behinderung an theologischen Ausbildungsstätten in Afrika und Asien, um schon die angehenden Pastoren für die Belange und Bedürfnisse behinderter Menschen zu sensibilisieren. Das Angebot stoße auf gute Resonanz. „In afrikanischen Gemeinden zählt vor allem die Autorität des Pastors“, sagt Kabue. „Er kann den Umgang mit behinderten Menschen entscheidend prägen.“

Allgemein habe die Kirche in Entwicklungsländern einen großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft, fügt er hinzu. „Wenn die Kirchen die Bedürfnisse der Behinderten ernst nehmen, wird das der Rest der Gesellschaft auch tun.“ Die Haltung evangelikaler Gemeinden, die in Afrika und Lateinamerika großen Zulauf haben, wiegt da umso schwerer. Sie postulieren Heilung durch Glauben. „Wenn jemand behindert ist, rufen sie die Kräfte der Heilung an. Wenn das nicht klappt, sagen sie, derjenige habe keinen Glauben, und schließen ihn aus“, berichtet Kabue. Aber auch hier sieht er in letzter Zeit Bewegung: Bei einer Konferenz evangelikaler Gruppen Ende 2010 sei deutlich geworden, dass die Idee, Behinderte ebenfalls als „Kinder Gottes“ zu sehen, immer stärker werde. „Die Dinge ändern sich“, sagt Kabue, „aber wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.“

Dabei helfen kann seiner Ansicht nach die UN-Behindertenrechtskonvention. 97 Staaten haben sie bereits ratifiziert, seit sie im Mai 2008 in Kraft getreten ist. „Das ging schneller als bei jeder anderen Konvention in der Geschichte der Vereinten Nationen“, betont Kabue. Für ihn ist das ein Indikator dafür, dass die Regierungen das Thema wichtig nehmen. Allerdings, räumt er ein, fehle es meist an den Mechanismen, die Regelungen der Konvention in nationales Recht und dann in die Praxis umzusetzen. Das gilt auch für sein Heimatland Kenia.

Dessen Regierung hat immerhin 2009 einen Nationalen Entwicklungsfonds für behinderte Menschen aufgelegt. 2,5 Millionen US-Dollar jährlich stünden zur Verfügung, um Hilfsmittel wie Krücken, Blindenstöcke oder Rollstühle sowie Kredite für die Gründung kleiner Unternehmen zu finanzieren, sagt Kabue. Das habe das Leben vieler Menschen bereits sehr erleichtert. Nun komme es darauf an, ihr Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung und eine Arbeitsstelle auch gesetzlich zu verankern.

Samuel Kabue selbst wäre gerne Pastor der Presbyterianischen Kirche geworden, doch er scheiterte zwei Mal mit seiner Bewerbung – obwohl er beim zweiten Versuch sogar ein Stipendium hatte. „Das lag vermutlich daran, dass man mir wegen meiner Blindheit das Amt nicht zugetraut hat“,meint er, „aber offen gesagt hat das niemand.“ Er studierte Pädagogik in Nairobi, später Behindertenpädagogik in Birmingham und begann, für den ÖRK zu arbeiten. Jahre später hat er sich seinen Traum erfüllt: Zurzeit absolviert er ein Theologiestudium. Pastor wolle er aber nicht mehr werden, fügt Kabue hinzu. „Jetzt steht das akademische Interesse im Vordergrund.“

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erschienen in Ausgabe 2 / 2011: Behinderung: Das Recht auf Teilhabe
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