Explosive Thesen zum exklusiven Lebensstil

In seinem Essayband kritisiert Ingolfur Blühdorn den Ressourcen verschwendenden Lebensstil eines seiner Einschätzung nach selbstgerechten ökologischen Milieus.

Der Planet ächzt unter der Last des Konsums, die Rechte erlebt ihren zweiten Frühling und die liberale Demokratie ihren Spätherbst: Ingolfur Blühdorn, Professor für soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, zeichnet in seinem Essayband ein düsteres Bild unserer Zeit. Und mit explosiven Thesen erklärt er das Schlamassel: Die Freiheit, der Urgedanke der Aufklärung, soll schuld sein am Siechtum des Planeten und der Demokratie.

Mit dem Buchtitel „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ greift Blühdorn den Widerspruch auf, dass die Menschheit mit ihrem Konsum an planetarische Grenzen stößt, der fällige Kurswechsel aber ausbleibt. Im Kontrast zu gängigen Deutungsversuchen macht Blühdorn dafür jedoch weder rechtspopulistische Klimakrisenleugner noch kapitalistische Eliten verantwortlich. Stattdessen nimmt er genau das liberale Milieu in den Fokus, das sich selbst als die progressive Speerspitze unserer Zeit versteht. Menschen, die ihre Milch beim Biobauern kaufen und für Klimaschutz protestieren – allerdings auch zum Yoga-Holiday nach Brasilien fliegen und von dort zum Kite-Surfen nach Israel. Menschen also, die bei allem Nachhaltigkeitsbewusstsein nicht bereit sind, auch nur einen Fußbreit von ihrem komfortablen Lebensstil abzuweichen. Ihnen gehe es darum, den Umweltsünden ohne schlechtes Gewissen frönen zu können.

Für Blühdorn steckt dahinter ein grundsätzliches Problem. In hiesigen Wohlstandsgesellschaften habe sich ein ausuferndes Freiheitsgefühl etabliert, das den Einzelnen nicht bloß aus traditionellen Zwängen, sondern auch von jedweder Vernunft befreit. Es auszuleben drohe die planetarischen Grenzen zu sprengen. Weil dieser Lebensstil schon allein aus ökologischen Gründen nicht für alle zu haben ist, ist er im wahrsten Sinne des Wortes exklusiv: Er schließt Menschen aus. Die Freiheit selbst, der Urgedanke der Aufklärung, entfesselt, wie der Autor betont, in ihrer ausufernden Form antidemokratische Kräfte.

Die Argumentation von Blühdorn und seinen Koautorinnen und -autoren, ihre häufig stark zugespitzten Thesen fußen in erster Linie auf theoretischer Literatur. Empirische Belege bleiben die Ausnahme. Blühdorn hat bereits einiges über die Postwachstumsökonomie geschrieben. Dies ist auch der unhinterfragte Standpunkt, von dem alle Argumentationen im Essayband ausgehen: Technische Innovationen allein werden den Planeten nicht retten; ohne Verzicht, ohne Einschnitte in individuelle Freiheiten wird es nicht gehen.

Blühdorns Essayband richtet sich in erster Linie an ein Fachpublikum aus der Umweltsoziologie und anderen Sozialwissenschaften. Doch auch jenseits dieser Klientel dürfte das Buch auf Interesse stoßen. Denn er zeichnet in erhellender Weise ökologische Debatten der vergangenen Jahrzehnte nach. So wird klar, dass die Argumente sich immer wiederholen. Auch räumt das Buch mit dem vieldiskutierten Mythos auf, der Konsument habe letztlich alles selbst in der Hand; wenn er nicht nachhaltig konsumiere, könne die Politik nichts machen. Für die Autoren steht fest: Die Politik muss ihren Bürgern klare Grenzen setzen, um die Grenzen des Planeten zu achten.

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