Migranten, Monopole und Nationalismus

John Judis und Tim Wu sehen beide die Demokratie in Gefahr – aber aus unterschiedlichen Gründen: Der eine warnt vor nationalistischen Bewegungen, der andere vor der Macht riesiger Firmen. Entsprechend gegensätzlich sind ihre Ratschläge zur Rettung der Demokratie.

Donald Trump ist nur die Spitze des Eisbergs: Der US-amerikanische Autor John Judis sieht in vielen Ländern nationalistische Ideologen auf dem Vormarsch; in Europa nennt man sie meist Rechtspopulisten. Dabei seien Nationalgefühle historisch sehr verbreitet und nicht an sich schlecht. Es komme darauf an, mit welcher politischen Bewegung sie sich verbinden.
Judis schlägt sich auf die Seite von Historikern, die betonen, dass Nationalgefühle seit Jahrtausenden auftreten – auch wenn er einräumt, dass sie erst mit der Französischen Revolution ihre heutige Wirkung und Bedeutung gewonnen haben. Er verwischt damit den von anderen Historikern aufgezeigten Unterschied zwischen vormoderner Verbundenheit in Wir-Gruppen und dem modernen Nationalismus, der Massen politisch mobilisiert. Seine Exkurse in die Geschichte sind zudem manchmal holzschnittartig.

Seine These aber ist bedenkenswert: Der wichtigste gesellschaftliche Konflikt verlaufe zwischen mobilen Weltbürgern ohne räumliche Bindung (Anywheres) und der Mehrheit der Ortsverbundenen (Somewheres). Zu Recht mahnt er, Anywheres, die häufig kosmopolitisch eingestellt sind, dürften die Sorgen der Somewheres nicht als irrational abtun. Denn diese reagierten sonst auf die Zumutung­en der Globalisierung mit einer Rückkehr zu einem völkisch geprägten, gefährlichen Nationalismus.

Leider stellt Judis unter diesen Zumutungen Zuwanderung und freien Handel ins Zentrum. Er stilisiert Migration zur Gefahr und behauptet, mit der Globalisierung sei legale und illegale Zuwanderung in Europa und den USA „explodiert“; dass die Aufnahme von Zugewanderten vielfach gelungen ist, ignoriert er. Und keine Rede ist von sozialer Ungerechtigkeit und ihren hausgemachten Ursachen – etwa Steuerreformen zugunsten der Reichen, Privatisierung sozialer Dienste und Abbau der Sozialsicherung für Verlierer des Freihandels.

Diese einseitige Diagnose führt zu zweifelhaften Therapieempfehlungen: Judis tritt für eine Art linken Wirtschaftsnationalismus ein. Kosmopolitische Anywheres sollten Ängste vor Migration und Freihandel ernst nehmen und insbesondere die Migration klar beschränken. Gleichzeitig möchte er, dass die Staaten kooperieren, um eine neue, auf Souveränität beruhende internationale Ordnung zu schaffen.

Für Tim Wu dagegen geht die Gefahr für die Demokratie von dem Trend zu Monopolen und Oligopolen in der Wirtschaft aus. Der gehe mit wachsendem Einfluss der Firmen auf die Politik einher – zum Beispiel für niedrige Unternehmenssteuern – und mit einer Konzentration des Reichtums. Darin sieht Wu eine Wurzel des Rechtspopulismus.

Demnach solle der Staat Monopole verhindern und marktbeherrschende Firmen notfalls zerschlagen. Wu zeichnet detailliert nach, wie das in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts geschehen ist. Das habe sich geändert, als Ökonomen und im Gefolge Juristen nur noch dann schädliche Marktmacht erkennen wollten, wenn die nachweislich zu höheren Verbraucherpreisen führt. Dieses extrem enge Kriterium müsse wieder ausgeweitet werden, um auch da einzuschreiten, wo Marktmacht die Verfahren der Demokratie untergräbt. Das allein, räumt Wu ein, wird zwar weder das Problem der Ungleichheit noch das des Rechtspopulismus lösen. Aber es sei ein entscheidender und unverzichtbarer Schritt dazu.

Beide Bücher sind klar strukturiert, gut lesbar und sehr anregend – auch wenn Wu sich ganz auf die USA konzentriert. Das Buch von Judis ist trotz seiner Schwächen eine wichtige Warnung, die Kraft von „irrationalem“ Nationalismus nicht zu unterschätzen. Allerdings ist Wus Rezept dagegen deutlich zielführender.

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