Schluss mit dem Wachstum!

Der Wirtschaftshistoriker Matthias Schmelzer und die Kulturanthropologin Andrea Vetter geben einen gut lesbaren Überblick über verschiedene Spielarten der Wachstumskritik und die Forderungen der Postwachstumsbewegung.

Der Leitsatz, dass die Wirtschaft zum Wohle aller immerfort wachsen muss, bestimmt politische Debatten über Partei- und Ländergrenzen hinweg. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit stellen Anhänger der Postwachstumsbewegung infrage, schreiben die Autoren, die der Bewegung selbst nahestehen.    

Im ersten Kapitel zeichnen sie nach, wie sich der vermeintliche Wachstumszwang zum lange unangefochtenen Leitbild im globalen Norden entwickelt hat. Zwar sei wirtschaftliche Expansion tatsächlich „historisch untrennbar“ mit dem Kapitalismus verknüpft. Als politisches Ziel habe sich das Wirtschaftswachstum aber erst in den 1950er Jahren parteiübergreifend entwickelt. Zuvor hätten Ziele wie Vollbeschäftigung, Stabilität und Wiederaufbau das wirtschaftspolitische Handeln europäischer und US-amerikanischer Regierungen bestimmt.

Die Autoren argumentieren, dass auch emanzipatorische Errungenschaften wie der Sozialstaat im globalen Norden auf einer stetig wachsenden Wirtschaft beruhten: Die zunehmende Produktion „schuf  Überschüsse und erleichterte so Kämpfe um die Verteilung des Reichtums, die Verkürzung der Arbeitszeit und soziale Sicherungssysteme“, schreiben Schmelzer und Vetter. Das zeigt, wie kompliziert die politische Gemengelage für einen Bruch mit der Wachstumslogik ist: Nicht nur eine kleine Elite profitiert von ihr, sondern große Teile der Bevölkerung.   

Das zweite Kapitel widmet sich verschiedenen Spielarten der Wachstumskritik. Der ökologische Ansatz kritisiert die Vorstellung, dass sich Wirtschaftswachstum durch die Erfindung neuer Technologien vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lasse. Unendliches Wachstum sei auf einem endlichen Planeten schlichtweg nicht möglich. Postkoloniale Theoretiker prangern derweil an, dass das Wirtschaftswachstum im globalen Norden auf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen im globalen Süden beruhe. Weitere Abschnitte sind feministischen Varianten oder einer kulturellen Wachstumskritik, die psychische Folgen eines stetigen Steigerungszwangs in den Blick nimmt, gewidmet.

Mit Postwachstum verbinden die Autoren nicht nur eine wissenschaftliche Debatte, sondern auch eine politische Vision, die im Hier und Jetzt andere Formen des Wirtschaftens erprobt. Im dritten Kapitel zeichnen Schmelzer und Vetter demnach das Bild einer breit gefächerten Bewegung, die teils auf von Ministerien und Parteien angestoßene Reformen setzt, teils die Änderung individueller Verhaltensweisen in den Vordergrund stellt. Der Aufbau von solidarischen Landwirtschaften oder Genossenschaften sei ein Beispiel für ein Wirtschaften ohne Wachstumszwang. Das Erproben alternativer Wirtschaftsformen ist für die Autoren ein „tastender Versuch“, der auf keine am Schreibtisch entworfene Blaupause zurückgreifen könne.   

Das Buch bietet eine gute lesbare Einführung in die Postwachstumsdebatte. Ein besonderer Verdienst von Schmelzer und Vetter ist, die verschiedenen Strömungen nicht unverbunden nebeneinander stehen zu lassen, sondern deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu diskutieren.

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