Frankfurt a.M. - Die teilweise Wiederöffnung der Universitäten in Afghanistan ist nach Einschätzung des Bildungsexperten Kambiz Ghawami „reine Augenwischerei“. Es reiche nicht, dass Studentinnen und Studenten wieder die Universität besuchen dürften. Solange es keine Autonomie in Lehre und Forschung gebe, könne man nicht von einer Öffnung sprechen, sagte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Komitees des internationalen Wissenschafts-Netzwerks World University Service dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am Mittwoch wurden laut Medienberichten in Teilen des Landes erstmals seit der Machtergreifung der Taliban die Unis wieder geöffnet.
Laut dem arabischen TV-Sender Al-Dschasira wurde unter anderem an Universitäten in den Provinzen Laghman, Kandahar und Helmand der Lehrbetrieb wieder aufgenommen. Demnach besuchten auch einige Frauen die Lehrveranstaltungen. Ghawami sprach von einem symbolischen Schritt, mit dem die Taliban Kompromissbereitschaft gegenüber der internationalen Gemeinschaft signalisieren wollten. Es gehe ihnen darum, an blockierte Hilfsgelder und eingefrorenes Staatsguthaben zu kommen.
Studienangebote der Geistes- und Sozialwissenschaften gestrichen
Die Taliban hätten stets betont, dass sie den Lehrbetrieb nur gemäß den Vorschriften der Scharia wieder aufnehmen wollten, kritisierte Ghawami. Das wirke sich auch auf die Lerninhalte aus. Während der ersten Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 sei an Bildungseinrichtungen ein „rein ideologiebasiertes Wissen“ vermittelt worden. „Auch jetzt wurden sämtliche Studienangebote der Geistes- und Sozialwissenschaften bereits gestrichen.“ Ein weiteres Problem sei, dass Schätzungen zufolge etwa die Hälfte des Lehrpersonals das Land nach der Machtergreifung der Taliban im August verlassen habe.
Die Taliban hätten ein grundsätzliches Problem mit freier Bildung. „Sie haben ihre eigene ideologische Definition und alles, was ihrem Herrschaftsanspruch zuwiderläuft, versuchen sie abzuwehren.“ Der Islam sei eine sehr bildungsoffene Religion, betonte Ghawami. Die Taliban jedoch fürchteten sich vor Menschen, die frei denken und kritisch hinterfragen können - „das alles sehen sie als Gefahr ihres eigenen Machtanspruchs.“
Ganze Generationen würden durch den Wegfall von freier Forschung und Lehre verloren gehen, warnte Ghawami, der am Aufbau einer Online-Universität für Afghaninnen und Afghanen beteiligt ist. Insbesondere Frauen werde das Recht auf Bildung verwehrt. Seit der Machtergreifung der Taliban sind in Afghanistan auch die Schulen für Mädchen ab der siebten Klasse geschlossen.