Papiere für die große Freiheit

Drei türkische Stewardessen geben einem Passagier seinen Pass samt Boardingpass.
Ahmet Bolat/Anadolu Agency/Getty Images
Seit 2018 gewährt die Türkei weltweit die Hälfte der gekauften Staatsbürgerschaften. Zwar ist der türkische Pass vergleichsweise schwach (also etwa wenige Länder damit einfach bereist werden können), aber immer noch viel besser als syrische, irakische, afghanische und iranische Dokumente, deswegen ist er gerade bei diesen Nationalitäten beliebt. Das Foto wurde 2019 am Atatürk Airport in Istanbul aufgenommen.
Gekaufte Pässe
Immer mehr Staaten bieten reichen oder einflussreichen Personen im Gegenzug für Geld oder Investitionen eine Staatsbürgerschaft an. So festigen sie Hierarchien und Privilegien für eine globale Schicht von Vermögenden.

Auszüge aus Kristin Suraks Buch „The Golden Passport. Global Mobility for Millionaires“ 

Montenegro ist ein kleines Land. Es ist erst seit 2006 unabhängig – vorher war es Teil Jugoslawiens und dann Serbiens – und hat nur 620.000 Einwohner. Im Oktober 2017 aber versammelten sich in seiner Hauptstadt Podgorica rund 400 prominente Köpfe aus aller Welt zum „Global Citizen Forum“. Entlang der Adriaküste säumten schwarz-goldene Banner die Autobahn und ermunterten die Fahrer, „den Wandel zu entfesseln“ und „Innovationen zu fördern“. Am Flughafen blickten Neuankömmlinge auf Plakate mit Aufschriften wie: „Die Zukunft beginnt jetzt: Bleiben Sie im Gespräch“. Zwei Tage lang setzten sich Millionäre, DJs und Supermodels, Premierminister und Politiker ebenso wie Philanthropen, Mitarbeiter von nichtstaatlichen Organisationen, Banker, Kreative und ein paar Adelige vordergründig mit „globalen Zukunftsfragen“ auseinander, tatsächlich aber vor allem mit dem Thema  „Staatsbürgerschaft durch Investition“ („Citizenship by Investment“ oder kurz CBI) oder umgangssprachlich: „goldene Pässe“.

Ein Vertreter der montenegrinischen Regierung beschrieb das CBI-Programm in einer Sitzung als eine Möglichkeit, Menschen mit Wissen und Erfahrung nach Montenegro zu holen, damit sie das Land voranbringen könnten – das sei eine riesige Chance für Länder wie Montenegro. Ich habe mit ihm und anderen Beamten aus verschiedenen Ländern gesprochen, die ebenfalls CBI-Programme entwickeln wollen, darunter Georgien, Mazedonien und Moldawien. Ein Beamter aus Armenien erklärte mir beim Kaffee, dass sein Land, das weder über Öl noch Gas verfügt, ein Geschäftsumfeld schaffen wolle, das ausländisches Kapital anzieht; es sehe in der Vergabe der Staatsbürgerschaft gegen Investitionen ein Mittel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. „Wir suchen nach einem Instrument, um das Land optimal zu vernetzen“, erklärte er. Eben dafür scheint das Global Citizen Forum der richtige Ort zu sein.

Weltweit bieten über ein Dutzend Länder Programme für den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Investitionen an. In der Karibik beispielsweise sind es die Inselstaaten Antigua, Dominica, Grenada, St. Kitts und St. Lucia, im Mittelmeerraum Malta, Ägypten, Jordanien, Montenegro, Nordmazedonien und die Türkei. In Asien bietet Kambodscha eine solche Option, im Südpazifik lockt Vanuatu. Insgesamt verfügten im Jahr 2022 mindestens 22 Staaten über eine Rechtsgrundlage für die Einbürgerung von Personen, die einen bestimmten Betrag im Land investieren oder spenden.

Das Ziel: Visumfreier Zugang zur EU

Was treibt die Nachfrage nach diesen „goldenen Pässen“ an? Ein wichtiger Grund ist der Wunsch nach mehr Mobilität. Wer nicht Bürger eines reichen Landes ist, kann in viele Länder der Welt nicht reisen, ohne zuvor mit viel Aufwand ein Visum zu beantragen, das längst nicht immer gewährt wird. Viele karibische Länder haben dagegen visumfreien Zugang zur EU. Das bedeutet, dass, wer sich einbürgern lässt, leichteren Zugang zur EU hat – und auch zu vielen anderen Ländern. 

Ein weiterer Grund ist der Wunsch nach einem Plan B oder einer Art Versicherungspolice. Wohlhabende Menschen sind risikoscheu und mögen keine Ungewissheit. Wenn man als Geschäftsmann unter einer autoritären Regierung Geld verdient, weiß man nie genau, was die Regierung als nächstes tun wird. Daher entsteht eine Nachfrage nach zusätzlichen Staatsbürgerschaften traditionell in China, Russland und anderen autoritären Regimen im Nahen Osten oder anderswo.

Auch der Lebensstil ist ein Grund. Wer beispielsweise Staatsbürger Maltas ist, hat die EU-Staatsbürgerschaft und kann dort überall mit vollen Rechten leben. Wer seine Kinder auf eine Privatschule in Frankreich oder der Schweiz schicken will, kann das problemlos tun – und auch mit ihnen zusammenleben oder sie besuchen. Schließlich sind Vermögensstrukturierung und Geschäftsmöglichkeiten ein wichtiger Grund. Mit einer passenden Staatsbürgerschaft ist es oft deutlich einfacher und billiger, Waren nach Europa oder anderswohin zu importieren.

Für 400.000 US-Dollar gibt es einen türkischen Pass

Bis vor kurzem boten vor allem kleine Inselstaaten mit weniger als einer Million Einwohnern CBI-Programme an. Für sie kann eine Finanzspritze aus dem Ausland infolge eines Programms „Einbürgerung durch Investition“ erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. In jüngster Zeit hat sich das Bild jedoch gewandelt, nun steigen auch größere Länder wie Russland und Ägypten in das Spiel ein. 

Auch die Türkei: Seit 2018 gewährt der vorderasiatische Staat weltweit die Hälfte der gekauften Staatsbürgerschaften. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zunächst ist der türkische Pass, auch wenn er vergleichsweise schwach ist (also etwa wenige Länder damit einfach bereist werden können), immer noch viel besser als syrische, irakische, afghanische und iranische Dokumente. Diese vier Länder liegen traditionell an der Spitzen der Staaten, deren Reiche sich für das Programm „Staatsbürgerschaft durch Investition“ entscheiden. Hinzu kommt, dass die Türkei bereits viele Menschen aus diesen Ländern aufgenommen hat, die ihr Heimatland aufgrund von Instabilität und Kriegen verlassen haben. Dazu kommt die Preisfrage. Ursprünglich lag der Preis für eine türkische Staatsbürgerschaft bei etwa einer Million US-Dollar, was sehr teuer war. Für eine Million Euro, ungefähr dieselbe Summe, konnte man sich auch in Malta einbürgern lassen und EU-Bürger werden. Im Jahr 2017 wurde der Preis in der Türkei jedoch gesenkt auf 250.000 US-Dollar; man konnte für diese Summe ein Haus in Istanbul kaufen und türkischer Staatsbürger werden. 

Jetzt ist der Preis auf 400.000 Dollar angestiegen. Dennoch ist ein solcher Pass beispielsweise für einen irakischen Geschäftsmann immer noch eine gute Entscheidung. Auch wenn die türkischen Dokumente schwächer sind als andere Pässe, haben sie einige Vorteile. So ist es einfacher und weniger riskant, mit einem türkischen Pass ein Visum für das Vereinigte Königreich oder die USA zu beantragen, als mit einem iranischen Pass. Türkische Staatsangehörige erhalten außerdem einige Steuervergünstigungen, wenn sie Waren nach Europa einführen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Türkei ein sogenanntes E2-Visumabkommen mit den USA hat: Wer türkischer Staatsbürger ist und in den USA ein Unternehmen mit einem Wert von rund 200.000 Dollar gründet, kann eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA beantragen.

Die Nachfrage ist groß, denn die türkische Staatsbürgerschaft ist leicht zu beantragen. Die türkische Regierung beauftragt keine externen Due-Diligence-Firmen mit der Prüfung der Anträge und wendet stattdessen nur die Standardüberprüfungs- und -screening-Verfahren der Regierung an, die auch für andere Einbürgerungsvorgänge verwendet werden.

Die Käufer kommen hauptsächlich aus China, Russland und dem Nahen Osten

Autorin

Kristin Surak

lehrt Soziologie an der London School of Economics. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf internationaler Migration, Mobilität von Eliten und Nationalismus. Der Text basiert auf Auszügen ihres Buches The Golden Passport: Globale Mobilität für Millionäre (Harvard University Press 2023).

Oberflächlich betrachtet fallen CBI-Programme weltweit kaum ins Gewicht. Nur etwa 50.000 Personen werden jedes Jahr irgendwo eingebürgert – kaum bemerkenswert angesichts einer Weltbevölkerung von acht Milliarden Menschen. Allerdings ist die gesellschaftliche Gruppe, aus der die Passanwärter kommen, ebenfalls sehr klein: Es handelt sich vor allem um Angehörige der Neureichen aus Ländern außerhalb des globalen Nordens. Die aus Malta, Antigua, Zypern, St. Lucia und Dominica vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass die Käufer hauptsächlich aus drei Regionen kommen: aus China und Südostasien, aus Russland und den postsowjetischen Ländern sowie aus dem Nahen Osten. Zwar nutzen auch Personen aus wohlhabenden Demokratien – darunter eine wachsende Zahl von US-Bürgern – zuweilen CBI-Programme. Die Nachfrage wird jedoch von einer kleineren Gruppe reicher Menschen aus Ländern mit „schlechten“ Pässen und autoritären Regimen angetrieben: Die nicht westlichen Gewinner der Globalisierung sind die Hauptzielgruppe für Regierungen mit CBI-Programmen. 

Es ist unwahrscheinlich, dass das Angebot ins Stocken gerät. Denn Staaten mit begrenzten Einnahmequellen setzen verstärkt auf diese Quelle des leichten Geldes, insbesondere wenn andere Wirtschaftsströme versiegen. Unsere Welt ist zunehmend eine der Mobilität, in der sich Menschen mit größerer Flexibilität und in kürzerer Zeit bewegen – oder nach Bewegungsmöglichkeiten suchen –, als es die schwerfälligen Begriffe „Einwanderung“ und „Niederlassung“ vermuten lassen. Dies macht die Staatsbürgerschaft jedoch nicht obsolet, sondern eher noch wichtiger. Eine Ärztin etwa, die in ein anderes Land umzieht, kann ihre Approbation verlieren, aber nicht ihre Staatsbürgerschaft: Man nimmt sie mit, wohin man auch geht. 

Aus diesem Grund ist die Staatsbürgerschaft auch im Zeitalter der Mobilität noch immer von grundlegender Bedeutung, und ihre Auswirkungen auf die globale Ungleichheit sind tiefgreifend. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Staatsbürgerschaften machen ihren Wert aus: Für die einen bietet die eigene Staatsbürgerschaft Möglichkeiten und Privilegien, für die anderen bringt sie Strafen und Einschränkungen mit sich. Ob wir wollen oder nicht, wir sind mit dem Status unserer Staatsbürgerschaft ebenso verbunden wie er mit uns. Die Welt der goldenen Pässe erinnert uns daran, wie grundlegend und unausweichlich dieser Status auch in einer hochgradig vernetzten Welt ist. So lange der Kapitalismus regiert, so lange wird die Staatsbürgerschaft über die globale Mobilität der Menschen entscheiden.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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