Weil die Ausgaben für Saatgut und Pflanzenschutzmittel kontinuierlich steigen, die Einnahmen aus dem Anbau von Obst und Gemüse im Jemen aber je nach Saison und Ernte stark schwanken, wollen Gemüsebauern wie Nasser Mohammed nicht weitermachen wie bisher. Mohammed ist Mitte 30 und Landwirt wie sein Vater. Schon als Kind ging er nicht zur Schule, sondern arbeitete in den Feldern im Gouvernement Lahidsch im Südwesten des Landes. „Vor zehn Jahren konnte man noch mit Gemüseanbau gute Gewinne machen“, erinnert er sich. „Jetzt kann es vorkommen, dass wir zwei Millionen Jemen-Rial (circa 7400 Euro) für Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Arbeitskraft ausgeben und die Ernte dann für weniger als ein Viertel unserer Kosten verkaufen müssen.“
Deshalb hat sich Mohammed dem Tabak zugewandt. Anders als der Gemüsepreis bleibt der Preis für Tabak das Jahr über in der Regel stabil, so dass er angesichts der großen Nachfrage sogar Vorauszahlungen kassieren könne, berichtet Mohammed. „Mit Tabak können wir nichts falsch machen.“ Einen Teil des Gewinns aus dem Tabakanbau stecke er in Gemüsepflanzungen, die er zur Sicherheit auch nicht ganz aufgeben wolle. „Aber mit dem Gemüse ist es ein Glücksspiel: Mal machen wir Gewinn damit, mal Verlust.“
So wie er machen es immer mehr Bauern, erklärt Mohammed. Zwar sei Tabak aufwendiger anzubauen und weiterzuverarbeiten als Gemüse. Aber die Einkünfte dafür seien stabiler und höher. „Wir bekommen keinerlei Unterstützung von der Regierung oder von irgendjemandem sonst“, erklärt Mohammed. „Deshalb müssen wir vorsichtig sein. Wenn mir eine Ernte nichts bringt, hilft niemand meiner Familie, und ich werde arbeitslos.“ Seine Kinder unterweist er sowohl im Tabak- als auch im Gemüseanbau, um sie auf die Zukunft vorzubereiten. „Bisher wurde Tabak hauptsächlich im Gouvernement al-Hudaida angebaut. Jetzt bringen auch wir unseren Kindern die nötigen Fähigkeiten bei – und Lahidsch ist nicht die einzige Region, in der das so ist.“
Heimischer Anbau besser als schlechte Importe
Laut der Weltgesundheitsorganisation herrscht in vielen Ländern, in denen große Mengen Tabak angebaut werden, Ernährungsunsicherheit. Jemen deckt 90 Prozent seines Weizenbedarfs und seinen kompletten Reisverbrauch – beide sind die Hauptnahrungsmittel – aus dem Ausland, berichtet das Welternährungsprogramm. Neun Jahre nach Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen sind im Jemen 18,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 34,16 Millionen Menschen.
Für den Tabakhändler Talal Saleh ist der heimische Anbau des Krauts eine gute Alternative zu teuren und möglicherweise sogar qualitativ schlechteren Importen. „So sparen wir Devisen, und der einheimische Tabak schmeckt sowieso besser – deshalb kaufen wir die Ernte auch im Voraus.“ Saleh findet nicht, dass die einheimischen Bauern lieber Nahrungsmittel pflanzen sollten. „Sie müssen doch ihre Familien ernähren, und der Obst- und Gemüseanbau ist dafür ohne staatliche Unterstützung zu unsicher.“
Der einheimische Tabakmarkt bestehe überdies schon seit Jahrzehnten, modernere Methoden der Weiterverarbeitung, beispielsweise bei Kautabak, hätten das Geschäft nur erweitert. Zudem verkaufen die Bauern ihren Tabak – ebenso wie die Händler – inzwischen auch auf dem heimischen Markt in Saudi-Riyal und nicht in Jemen-Rial, was die Preise stabiler macht. „Ich persönlich mag einheimischen Tabak lieber, und ich sehe auch keinen Schaden darin, die Bauern dazu zu ermuntern, ihn anzubauen“, erklärt Saleh. „Außerdem investieren viele von ihnen einen Teil ihrer Gewinne aus dem Tabak in den Gemüseanbau.“
Diversifizierter Gemüseanbau könnte helfen
Der Gemüsebauer Mohammed Qaed, der keinerlei Erfahrungen mit Tabakpflanzen hat, findet, dass es auch unter den Gemüsen sicherere Alternativen gibt, wie beispielsweise Knoblauch. Der werde aus Ländern wie China nach Jemen importiert, obwohl er im Land gut angebaut werden könnte. „Aber einige Bauern setzen lieber auf die Tabakvorauszahlungen und das schnelle Geld.“ Qaed selbst baut nicht nur Knoblauch an, sondern auch Zucchini, Okra, Zwiebeln, Pfeffer und mehr. Er hat seine Gemüseernte diversifiziert: „Manchmal geht eine Ernte in die Binsen, aber dann gleicht eine andere das mit guten Erträgen aus.“ Nur wenn alle das Gleiche anpflanzten, sinken die Marktpreise. „Das könnte das Landwirtschaftsministerium lösen, indem es die Ernten mit den Bauern koordiniert.“
Qaed betont, dass Gemüseanbau nicht nur seiner Familie nutze, sondern der Wirtschaft des gesamten Landes – Nahrungsmittel seien enorm wichtig. Allerdings beklagt er, dass die einheimischen Feldfrüchte mit billigeren Importen konkurrieren müssen. „Knoblauch könnte eine sichere Ernte sein, aber die Regierung lässt chinesische Importe zu, die uns schaden und uns dazu zwingen, die Ernte manchmal erst Monate später zu verkaufen, wenn die Preise wieder besser sind.“
Er findet, die Regierung sollte bestimmte Importe beschränken und es den Bauern gleichzeitig einfacher machen, ihre Produkte in Nachbarländer zu exportieren. Wer Tabak anbaue, habe es einfacher, weil er keine billigeren Importe fürchten müsse und stabile Preise erziele. Deshalb fürchtet der Gemüsebauer, dass ohne Hilfe der Regierung künftig immer mehr Menschen Tabak statt Gemüse anbauen. Einige nichtstaatliche Organisationen und auch das UN-Entwicklungsprogramm unterstützten bereits einige vom Krieg besonders stark betroffene Bauern, aber das reiche nicht aus.
Regierung müsste Bauern stärker unterstützen
Abdulsalam Rashad, Lehrer an einer öffentlichen Schule im Gouvernement Ta‘izz, erklärt, man könne die Bauern nicht zwingen, Gemüse statt Tabak anzubauen. „Sie schultern allein die Risiken – deshalb haben sie allein das Recht zu entscheiden, was sie anpflanzen.“ Er weist auf einen Trend hin, der gesellschaftlich mindestens ebenso problematisch sei, aber dem niemand etwas entgegensetze: Immer mehr Bauern ersetzten Obstpflanzen wie beispielsweise Mango durch Kat, dessen Blätter als Rauschmittel konsumiert werden. „Niemand hält sie davon ab, das ist völlig legal.“
Wie Qaed ist auch Rashad dafür, dass die Regierung Gemüsebauern stärker unterstützt. „Würde sie kostenloses Saatgut und Dünger verteilen, würden wahrscheinlich mehr Menschen Obst und Gemüse anbauen und weniger Kat und Tabak. Dann müssten wir auch nicht immer mehr Nahrungsmittel importieren.“ Rashad selbst hatte auch einmal Obstbäume, aber sie wurden von Schädlingen zerfressen und er hatte weder Dünger noch Pflanzenschutzmittel. „Wie viele Jemeniten kaue ich Kat, da erschien es mir finanziell naheliegend, meine Obstbäume durch Katbäume zu ersetzen“, räumt er ein. Hätte er kostenlose Pflanzenschutzmittel zur Verfügung gehabt, stünden seine Bäume noch und er hätte nicht zu Kat gewechselt, betont er. Aber Kat erziele ein ähnlich gutes und sicheres Einkommen wie Tabak, und beides werde von den meisten Jemeniten täglich konsumiert. So lange das so bliebe, ersetze so mancher Obstbauer seine Bäume durch Tabak oder eben Kat.
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