„Supermarkt oder Weltladen ist für uns kein Gegensatz“

Global Lokal
Wie kann der faire Handel zu Klimagerechtigkeit beitragen? Indem wohlhabende Verbraucher mehr für die Produkte zahlen, meint Isabel Tadmiri von der indischen Organisation Last Forest.

Isabel Tadmiri arbeitet bei der nichtstaatlichen Organisation Last Forest in Südindien. Die unterstützt Zusammenschlüsse lokaler Produzenten aus indigenen Gemeinschaften in den Nilgiri-Bergen dabei, ihre Produkte zu vermarkten. Im September war Tadmiri zur Fairen Woche 2023 in Deutschland. Die Veranstaltungen standen unter dem Motto „Fair. Und kein Grad mehr.“

Frau Tadmiri, welche Folgen hat der Klimawandel bei Ihnen zuhause?
Wir haben unseren Sitz in Südindien, im Bundesstaat Tamil Nadu, wo auch das Biosphärenreservat Nilgiri-Berge liegt, auf Deutsch: Blaue Berge. Die Nilgiri-Wälder haben eine sehr große Artenvielfalt auf rund 1800 Metern Höhe und sind gleichzeitig ein wichtiges Wasserreservoir für ganz Südindien. Es hat sich sehr viel verändert bei uns, es gibt wesentlich mehr Starkregen in der Regenzeit, gleichzeitig schwanken die Regenfälle übers Jahr viel stärker als früher. Viele Menschen klagen über die gesundheitlichen Auswirkungen der plötzlichen Wetterumschwünge. Die Indigenen in den Nilgiri-Bergen sind vom Wald abhängig, sie leben von seinen Produkten. Die Bauern, die wir unterstützen, produzieren vor allem Honig, den sie im Wald sammeln, aber wir bieten auch andere Produkte wie zum Beispiel aromatische Öle an. Die Erträge beim Honig gehen zurück und damit auch die Einkommen der Bauern. Andere Regionen Indiens sind stärker von steigenden Temperaturen betroffen. Aber weil dort die Hitze teilweise unerträglich wird, ziehen mehr Menschen in die Nilgiri-Berge, wo das Klima gemäßigter ist. Mehr Zuwanderung bedeutet leider auch, dass mehr Wald abgeholzt wird.

Was kann der Faire Handel angesichts derart massiver Veränderungen leisten?
Der Faire Handel kann Praktiken fördern, die weniger Emissionen verursachen. Bei uns fällt beim Sammeln des Honigs auch Bienenwachs als Nebenprodukt an. Daraus fertigen wir Wachsfolien als Alternative zu Plastik- oder Aluminiumfolien. Wir vermeiden Abfälle so weit es geht und verarbeiten sie zu neuen Produkten. Für Last Forest ist Fairtrade wichtig, weil wir in diesem Netzwerk die Produzenten unterstützen, ihre Rechte auf faire Bezahlung durchzusetzen und sie widerstandsfähiger gegen den Klimawandel machen. 

Fairer Handel will dazu beitragen, Armut zu verringern. Macht es der Klimawandel schwieriger, dieses Ziel zu erreichen?
Wir können definitiv weiter dazu beitragen, Armut zu reduzieren. Im Fairen Handel bekommen die Produzenten angemessene Preise und werden nicht von Zwischenhändlern ausgebeutet. Sie kennen dadurch den Wert ihrer Arbeit, das ist ein ganz wichtiger Aspekt des Fairen Handels. Während Corona hat das internationale Netzwerk des Fairen Handels außerdem dazu beigetragen, die Bauern aufzufangen und ihnen auch in dieser Zeit ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen, auch durch unsere Partner in Deutschland. Einfach war das nicht, aber es ist uns gelungen.

Die Faire Woche stand in diesem Jahr unter dem Motto „Klimagerechtigkeit“. Ist das nicht ein utopisches Ziel?
Es gibt sicher unterschiedliche Ansichten dazu, bis zu welchem Grad Klimagerechtigkeit erreicht werden kann, aber als Ziel macht es schon Sinn. Klimagerechtigkeit bedeutet für uns, dass im Fairen Handel Produzenten im globalen Süden von den Konsumenten im globalen Norden mehr verlangen können, weil diese auch mehr zahlen können. In einem Land wie Deutschland sind die Ressourcen vorhanden, um Produzenten in Indien weiterhin zu unterstützen. So leistet der Norden einen gewissen Ausgleich für seinen größeren ökologischen Fußabdruck. Das geschieht in einem direkten Austausch: Bei Last Forest sind alle Produzenten gleichzeitig Eigentümer und können selbst bestimmen, was sie anbauen, wie sie ihre Preise gestalten, über welche Kanäle sie verkaufen und wie die Erträge verwaltet werden. Es sind nicht wir, die ihnen sagen, was am besten für sie ist. 

Fair gehandelte Produkte nur im Weltladen oder auch im Supermarkt – können Sie mit dieser deutschen Debatte etwas anfangen?
Wir haben natürlich einen anderen Kontext in Indien. Wir nutzen alle Kanäle, um zu verkaufen, Wir nutzen den Einzelhandel – wir haben zwei eigene Läden –, E-Commerce, wir exportieren in den globalen Norden und den globalen Süden. Wir wollen aus jedem Verbraucher einen „Wächter der Erde“ machen, deswegen ist für uns entscheidend, möglichst viele Konsumenten zu erreichen. Zudem sollte jeder Zugang zu fair gehandelten Produkten haben, nicht nur Menschen, die in einem Viertel mit einem Weltladen leben. Supermarkt oder Weltladen ist für uns deshalb kein Gegensatz. 

Gibt es eine Spannung zwischen der Bewusstseinsbildung für die Anliegen des Fairen Handels und der Vermarktung der Produkte?
Ich komme selbst aus dem Kontext antikapitalistischer Arbeit. Es kann eine Spannung geben zwischen Aufklärung oder Bewusstseinsbildung und dem Bedürfnis, mehr Produkte zu verkaufen. Aber für uns stellt das kein Widerspruch dar, weil wir nicht profitorientiert denken. Es geht uns darum, eine Welt zu schaffen, die es honoriert, wenn Wälder erhalten werden. Die Produzenten haben sich dafür entschieden, weiterhin ihr traditionelles Leben in den Wäldern zu führen. Das ist ihr gutes Recht und wir versuchen, ihnen einen Markt für ihre Produkte zu erschließen. Aber wir wissen nicht, wie sich der Klimawandel noch beschleunigen wird und ob unsere Produzenten dann noch angemessen von ihrer Arbeit leben können.

Das Gespräch führte Claudia Mende.

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