Wie weit verbreitet ist häusliche Gewalt in Kambodscha?
Laut offizieller Statistik erleben rund 22 Prozent aller Kambodschanerinnen einmal oder mehrmals in ihrem Leben häusliche Gewalt, also ähnlich wie in Deutschland. Alle Gesellschaftsschichten sind betroffen, wobei der Druck zu schweigen bei den besser gestellten Familien und im städtischen Umfeld besonders hoch sein dürfte.
Die Regierung hat 2005 ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt verabschiedet. In einer Vergleichsstudie wurde 2009 festgestellt, dass dieses Gesetz offenbar Wirkung zeigt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Die Studie hat einige Erfolge nachgewiesen: Die Menschen kennen das Gesetz und wissen, wie sie handeln müssen, um sich zu schützen. Auch die Akzeptanz von Gewalt ist gesunken. Das führen wir unter anderem auf Medienkampagnen und Trainings zurück. Einzelne Ergebnisse machen allerdings nachdenklich: Heute kennen zwar nur noch 53 Prozent der Befragten einen Mann, der seine Frau misshandelt, während es fünf Jahre vorher noch 64 Prozent waren. Gleichzeitig ist aber der Anteil derjenigen gestiegen, die gegen Gewalt lieber nichts tun und schweigen.
Wie erklären Sie das?
Viele Opfer schämen sich und schweigen. Sie versprechen sich nichts davon, an die Behörden heranzutreten und fürchten weitere Attacken. Hinzu kommt der Druck der Familie, die sagt, regelt das mal als Paar, weil es sonst peinlich wird. Häusliche Gewalt wird als Familienangelegenheit angesehen. Der Weg vor ein Gericht kann außerdem kostspielig werden.
Haben sich die Einstellung und das Verhalten von Polizei und Behördenmitarbeitern verändert?
Polizei und Behörden wissen heute, wie sie bei häuslicher Gewalt eingreifen müssen, um Opfer zu schützen. Zum Beispiel mit einer Schutzanordnung des Gerichts; hier hat die GTZ auch mit Trainings für Richter und Richterinnen geholfen. Aber es muss noch mehr getan werden. Eigentlich sollten Polizei und Verwaltung die Anwendung von Gewalt unter keinen Umständen für akzeptabel halten. Das ist noch nicht der Fall.
Laut Ihrer Studie rechtfertigen bestimmte „Verstöße“ gegen das weibliche Rollenverhalten in den Augen vieler Befragter die Anwendung von Gewalt.
Wenn sie direkt gefragt werden, ob Gewalt akzeptabel ist, sagen viele natürlich „nein“. Das Verhalten passt aber nicht immer zu dieser Aussage. Wenn man bestimmte Situationen abfragt, wächst die Toleranz von Gewalt – zum Beispiel, wenn die Frau Geld ausgibt, ohne den Mann zu fragen, eine Affäre hat, wenn sie die Kinder vernachlässigt, nicht regelmäßig kocht oder mit Freunden ausgeht. Insgesamt zeigt die Studie aber, dass seit 2005 ein Wertewandel hin zu mehr Gleichstellung von Mann und Frau stattgefunden hat.
Wie steht es mit der Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben?
Nur wenige Frauen bekleiden ein politisches Amt. In der Justiz gibt es rund 230 Richter und Staatsanwälte, davon sind 16 Frauen. Ein ähnlicher Prozentsatz findet sich im Parlament und in der Regierung. Dafür gibt es eine große Zahl kleiner und mittelständischer Unternehmerinnen. Die ältere Generation ist sehr traditionell, aber immer mehr junge Frauen suchen sich ihren eigenen Weg und lehnen beispielsweise eine frühe Heirat ab, um ihre berufliche Entwicklung voranzutreiben.
Befürchten Sie mit zunehmender Emanzipation auch mehr Gewalt als Gegenreaktion der Männer?
Gewalt dient der Demonstration und dem Erhalt von Macht – auch innerhalb der Familie. Die schwierige Wirtschaftslage setzt viele Männer unter Druck, sie müssen ein Einkommen erwirtschaften und die Familie ernähren. Zugleich werden sie in ihrer Rolle als Haushaltsvorstand herausgefordert und sehen eine Politik, die sehr stark – und manchmal vielleicht etwas einseitig – die Frauen stärkt. Der Mann wird oft nur als Täter dargestellt, als derjenige, der letztlich die Entwicklung der Gesellschaft behindert. Wir beobachten in jüngster Zeit eine Zunahme von Vergewaltigungen. Und wir fragen uns, ob das auch ein Reflex ist, um auf individueller Ebene Macht auszuüben und zu demonstrieren.
Was tut die Politik konkret für die Frauen?
Die Regierung hat die Gleichberechtigung zu einer Priorität erklärt. Das Frauenministerium hat 2007 auf nationaler, lokaler und Provinzebene eine Sondergerichtspolizei geschaffen, die Ansprechpartner für Gewaltopfer sein soll. Auf lokaler Ebene wurden Quotenregelungen geschaffen, um die Zahl der Frauen in den Polizeiposten und den Volksvertretungen zu erhöhen. Ferner soll ab 2011 mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung ein Fonds aufgelegt werden, mit dem Projekte der Zivilgesellschaft zur Rechtsberatung, psychosozialen Beratung und Begleitung vor Gericht finanziell unterstützt werden.
Wie könnten Männer in die Anti-Gewalt-Arbeit einbezogen werden?
Es wird vor allem darum gehen, neue Rollenvorbilder zu schaffen, mit denen sich Männer identifizieren können – damit sie nicht immer nur hören, was sie nicht tun dürfen. Außerdem wird es wichtig sein, die bereits begonnene Kinder- und Jugendbildung auszubauen. Auch Kinder und Jugendliche müssen ihre Rechte kennen und lernen, sich gegen Übergriffe zu wehren. Bislang fehlt an den Schulen zum Beispiel eine Sexualerziehung, die deutlich macht, wo die Grenzen zur sexuellen Gewalt liegen.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.