Sie haben gekämpft und sie waren erfolgreich. Monatelang haben sich Menschenrechtsaktivisten und Juristen in der Dominikanischen Republik gegen ein Urteil des Verfassungsgerichtes gewehrt, mit dem Dominikanern haitianischer Abstammung die Staatsbürgerschaft aberkannt werden sollte. Auch außerhalb des Inselstaates war die Empörung groß: Venezuela überlegte, seine billigen Öllieferungen einzustellen, die Karibische Gemeinschaft (Caricom) suspendierte die Aufnahmegespräche mit dem Inselstaat. In Kanada wurde zum Ferienboykott des angeblichen Urlaubsparadieses aufgerufen. Nachdem die dominikanische Regierung das Gerichtsurteil lange Zeit verteidigt hatte, gab sie Ende Mai nach und stellte ein Gesetz zur Staatsbürgerschaft vor, das das harsche Urteil der Richter abmildert.
Die Geschichte illustriert besonders krass, wie die Dominikanische Republik mit haitianischen Einwanderern umgeht. Sie beginnt am 23. September 2013 in Santo Domingo. Das Verfassungsgericht des Landes beschließt mit elf zu zwei Stimmen, dass Juliana Dequis, die am 1. April 1984 in der Dominikanischen Republik geboren, deren Geburtsurkunde sie als Dominikanerin ausweist, die nie das Land verlassen hat und perfekt Spanisch spricht, keine Dominikanerin sei. Damit hat sie auch kein Anrecht auf dominikanische Papiere.
Mit Hilfe einer Menschenrechtsorganisation war die junge Frau vor Gericht gezogen, weil man ihr auf dem Einwohnermeldeamt seit Jahren die Identitätskarte verweigerte und bei einer Gelegenheit auch die Geburtsurkunde einbehalten hatte. Die braucht man in der Dominikanischen Republik für zahlreiche bürokratische Vorgänge, etwa um ein Konto zu eröffnen. Das Gericht erklärte das Vorgehen der Behörde für rechtens. Es machte Dequis zur Staaten- und Rechtlosen. Sie sollte nicht wählen dürfen und keine weiterführende Schule besuchen; nicht heiraten können, nicht reisen und keine rechtskräftigen Verträge abschließen.
Im Grunde, erklärte das Gericht, existiert Juliana Dequis nicht mehr. „Und das alles nur, weil ich einen französischen Namen habe, schwarz bin und meine Eltern aus Haiti kommen“, sagte Dequis bei einem Treffen einige Monate nach dem Urteil. Sie lebte mit ihren vier Kindern in einer ärmlichen Holzhüttensiedlung, aus der nur eine staubige Schlaglochpiste herausführte.
Autor
Philipp Lichterbeck
ist freier Journalist in Rio de Janeiro. Er ist Autor des Buches „Das verlorene Paradies. Eine Reise durch Haiti und die Dominikanische Republik“ (Dumont-Verlag, 2013).Also blieben sie, genauso wie Zehntausende weitere Haitianer. Sie nährten den Reichtum der Zuckerkonzerne und lebten selbst im Elend. Sie waren moderne Sklaven – und mussten doch regelmäßig als Sündenböcke herhalten, wenn eine dominikanische Regierung von ihrer Ineffizienz, der Korruption, einem Skandal ablenken wollte. Die Haitianer überfluten die Dominikanische Republik, hieß es dann. Sie sind kulturell fremd, kriminell, krank, arm und schmutzig.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes war politisch motiviert. Seit Anfang des Jahrhunderts versucht die Partido de la Liberación Dominicana (PLD), die 2012 die dritte Präsidentschaftswahl in Folge gewann, die papierlos im Land lebenden haitianischen Einwanderer noch weiter an den Rand zu drängen. Ihr Instrument war die Zentrale Wahlbehörde, die den geschätzten 500.000 bis zu einer Million Menschen haitianischer Herkunft systematisch jeden Zugang zu Papieren und damit zu Bildung, zur Justiz, zu einem normalen Leben verwehrte.###Seite2###
Mit seinem Urteil unter dem Aktenzeichen TC 168/13 legitimierte das Verfassungsgericht eine neue Variante der Ausgrenzung: Dominikaner haitianischer Abstammung wie Juliana Dequis sollten nachträglich ihrer Staatsbürgerschaft beraubt werden. Und das, obwohl zum Zeitpunkt ihrer Geburt das uneingeschränkte „Ius Solis“ herrschte, das Geburtsortsprinzip: Staatsbürger ist, wer im Land zur Welt kommt. Das Gericht hielt fest: Niemand, der oder die nach 1929 unter „irregulären“ Umständen im Land geboren wurde, habe ein Anrecht auf einen dominikanischen Pass.
Die zentrale Wahlbehörde wurde angewiesen, 55.000 Geburtsurkunden zu überprüfen und zu „bereinigen“. Selten hat ein Land so viel Energie darauf verwendet, einem Teil seiner Staatsbürger die Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen beziehungsweise sie im Voraus zu verweigern.
Trotz Kritik aus dem Ausland – in der „New York Times“ bezeichneten die Schriftsteller Junot Díaz und Edwidge Danticat die Entscheidung als „abstoßend“ und „rassistisch“ – begrüßte das Establishment der Dominikanischen Republik die Entscheidung. Endlich werde klar gestellt, wer wirklich Dominikaner sei, so der Tenor. Der Erzbischof von Santo Domingo, die Medien, die wirtschaftliche und politische Elite – alle waren sich einig. Präsident Danilo Medina pries das Urteil, gegen das keine Revision möglich war, als unabhängige juristische Entscheidung und verbat sich jede Einmischung.
Ana Belique wurde zur Hassfigur, der Nationalismus brodelte
Es war schon fast heldenhaft, sich öffentlich dagegenzustellen. Diejenigen, die es taten, wurden bedroht. Etwa Ana Belique, Sprecherin von Reconocido, der aktivsten Protestbewegung im Kampf gegen das Urteil. Trotz Anfeindungen ging die 27-Jährige mit ihrer Gruppe, die vorwiegend aus Dominikanern haitianischer Abstammung besteht, regelmäßig auf die Straße, sang trotzig die Nationalhymne vor der Zentralen Wahlbehörde.
Im Internet warb sie um Unterstützung, reiste zu Kongressen in die USA, veranstalte Diskussionen, gab Interviews. Für die Befürworter des Gesetzes wurde sie zur Hassfigur, der Nationalismus brodelte. „Ich fürchte, dass es so wird wie in den Südstaaten der USA in den 1950er Jahren“, sagte Belique im vergangenen Dezember.
Neben Reconoci.do kämpften weitere Organisationen gegen das Gesetz. Dazu zählten das Centro Bono der Jesuiten in Santo Domingo, das als wichtige Anlaufstelle diente und das Urteil mit der Nummer TC 168/13 als verfassungswidrig brandmarkte, die von der Menschenrechtlerin Sonia Pierre gegründete Bewegung der Dominiko-Haitianischen Frauen (Mudha) und die Soziokulturelle Bewegung der Haitianischen Arbeiter (Mosctha). Letztere wertete das Abdrängen der Haitianer in die Illegalität als eine weitere Verschärfung des dominikanischen Kapitalismusmodells, das auf der staatlich geduldeten Ausbeutung rechtloser haitianischer Arbeitskräfte gründe.
Kritik kam außerdem vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, aus den USA und der Europäischen Union. Schließlich fand die dominikanische Regierung Ende Mai ein Schlupfloch, um sich aus der Affäre zu ziehen – sie hatte wohl erkannt, dass sie ihrem Land, das stark vom Tourismus abhängig ist, mit dem Gesetz keinen Gefallen tun würde. Präsident Medina stellte ein neues Gesetz zur Staatsbürgerschaft vor. Es ebnet Kindern, die bereits in ein Geburtenregister eingetragen sind, den Weg zum dominikanischen Pass. Außerdem legt es Kriterien fest, nach denen der Antrag auf Staatsbürgerschaft geprüft und entschieden wird, etwa ein Arbeitsplatz, eine stabile wirtschaftliche Lage oder die Integration in die dominikanische Gesellschaft.
Für haitianischen Einwanderer, die nicht im Geburtenregister eingetragen sind – und das ist die erdrückende Mehrheit –, bedeutet ein solcher Antrag einen bürokratischen Prozess, den etwa Amnesty International als viel zu kompliziert kritisiert. Soziale Bewegungen wie das Jesuiten-Zentrum Centro Bono sagen dennoch: Nach dem Gerichtsurteil TC 168/13 ist alles ein Schritt in die richtige Richtung.
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