Kampf den Hütten

Anderthalb Jahre nach dem Militärputsch gegen den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya scheint nach außen hin Ruhe eingekehrt in das mittelamerikanische Land. Zwar stießen die Wahlen im November 2009 auf internationale Kritik, doch im Nachhinein haben viele Staaten die Regierung des neuen Präsidenten Porfirio Lobo Sosa als notwendigen Schritt im Übergang zur Demokratie akzeptiert. Daran glaubt die Mehrheit der Honduraner allerdings nicht – die Zahl der Morde und der Menschenrechtsverletzungen ist seit Lobos Amtsantritt nicht zurückgegangen.
Gut ein Jahr nach dem Amtsantritt des umstrittenen honduranischen Präsidenten Porfirio Lobo Sosa drohen zahlreiche Konflikte in dem mittelamerikanischen Land zu eskalieren. Vor allem auf dem Land, etwa in der nördlichen Region Bajo Aguán, nimmt die Unterdrückung und Verfolgung sozialer Bewegungen erschreckende Ausmaße an. „Was hier passiert, ist die Kolumbianisierung von Honduras“, sagt Pater Fausto Milla, der sich seit Jahrzehnten für die Belange der Armen einsetzt. Aus langjährigen Aufenthalten in Kolumbien weiß der Geistliche mit den schlohweißen Haaren nur zu gut, wie Bauern von Paramilitärs, die Großgrundbesitzer aufgebaut haben, vertrieben werden. „In Bajo Aguán haben wir nun exakt die gleiche Situation“, sagt er und runzelt die Stirn.
 

Autorin

Kathrin Zeiske

ist freie Journalistin und berichtet aus Mexiko und Mittelamerika.

Die kolumbianische Tageszeitung El Tiempo hatte bereits im September 2009 berichtet, dass der Agrarunternehmer Miguel Facussé Angehörige des demobilisierten paramilitärischen Dachverbandes „Vereinigte Selbstverteidigungskräfte von Kolumbien“ (AUC) nach Honduras abwerbe. Seine gut 200 Mann starke Privatarmee wird in der Region Bajo Aguán für mindestens 19 Morde verantwortlich gemacht. „Sie erschießen Bauern wie Tiere“, bestätigt Lidia Ramos aus La Concepción, einer Siedlung aus Plastikverschlägen unter den grünen Baumkronen einer Palmölplantage.

Die junge Frau in schwarzen Gummistiefeln ist Mitglied der Vereinigten Bauernbewegung von Aguán (MUCA). Um sie herum stehen weitere Frauen mit Säuglingen auf den Armen und Kindern, die sich an ihre Beine schmiegen. Die Männer sind schon früh- morgens zum Arbeiten aufgebrochen. Irgendwo zwischen den endlosen Baumreihen, die sich bis zu der dunklen Silhouette der Berge erstrecken, ernten sie die schweren Stauden der rot-orange-gelben Palmfrucht. La Concepción ist eine der Fincas in der Region, die die MUCA mit 700 Familien besetzt hält, um ihr Recht auf Landtitel geltend zu machen. „Wir warten, dass der Staat endlich Miguel Facussé auszahlt, damit wir hier in Ruhe leben können“, erklärt Lidia Ramos. Mehrmals wurden sie schon vertrieben, immer sind sie zurückgekehrt, trotz der Angst vor den Schergen des Unternehmers. „Wo sollen wir auch hin? Das hier ist doch unser Land“, sagt sie leise und zeigt auf das regennasse Gras unter ihren Füßen.

Der Konflikt in Bajo Aguán dreht sich um 11.000 Hektar kollektiv bewirtschafteter Ländereien, die im Zuge der von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verlangten Strukturanpassungsmaßnahmen der 1990er Jahre an das staatliche Agrarinstitut (INA) veräußert wurden. „Hier waren Manipulation und Drohungen im Spiel“, berichtet Gilberto Ríos, Landesdirektor der internationalen Nichtregierungsorganisation FIAN. „Der Staat hat die Armut und Unwissenheit der Bauern ausgenutzt, um Land zurückzukaufen und es dann gewinnbringend an Agrarmagnaten wie Miguel Facussé zu vergeben.“ Facussé gilt als einflussreichster Unternehmer in Honduras und soll auch den Militärputsch gegen Präsident Manuel Zelaya im Juni 2009 finanziell getragen haben. Im November 2009 wurde seine Dinant Corporation von der Weltbank mit einem Millionenkredit für den Aufbau von Biogasanlagen unterstützt.

Unter Zelaya hatte ein Dialog zwischen Regierung, Großgrundbesitzern und MUCA begonnen. Mit dem Putsch war dann jedoch die Hoffnung dahin, den Konflikt gütlich zu regeln. Im Dezember 2009 besetzten die Bauerngenossenschaften 26 Fincas, um Verhandlungen mit Porfirio Lobo zu erzwingen. Doch sie erhielten im April 2010 nur Titel über 3000 Hektar Land, die nur teilweise wie vereinbart mit Ölpalmen bepflanzt sind. Miguel Facussé fordert derweil vom Staat horrende Entschädigungen. „Nun wird nicht Facussé geräumt, sondern die Bauern. Die Regierung Lobo hat die Verhandlungen mit ihnen abgebrochen und lässt die Zone militarisieren“, erklärt Gilberto Ríos. „Der Rechtsstreit wird einfach mit Gewalt gelöst.“

Wie in Paso Aguán, keine Stunde Fahrt von La Concepción entfernt. Der beißende Rauch von verbrannten Plastikplanen liegt in der Luft. Bauernfamilien stehen vor den schwarz verkohlten Skeletten der Hütten der Ansiedlung Panamá, die in den vergangenen Monaten ihr Zuhause war. Sie haben Töpfe, Decken und andere bescheidene Besitztümer in weiße Reissäcke gepackt. Wohin sie jetzt gehen sollen, weiß niemand so recht. „Die Soldaten standen heute früh auf dem Gelände und haben gebrüllt, wir sollen verschwinden“, erzählt David, ein junger Mann im verschwitzten T-Shirt, aufgeregt. Seinen Nachnamen will er lieber nicht nennen.

„Jetzt sind nur noch Militär und Polizei hier, aber heute morgen waren auch die Leute Facussés dabei“, berichtet er. „Vor ihnen haben wir jedoch mehr Angst, denn sie kennen keine Gnade und kein Gesetz.“ Die Anwesenheit einer Delegation der zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsplattform aus der Hauptstadt scheint die Söldner Facussés jedoch vertrieben zu haben. Nur der Polizeieinsatzleiter Alex Madrid ist zugegen und beschwichtigt die Angereisten, dass Räumungsbefehle vorlägen und alles ruhig und geordnet verlaufe. Trotzdem wird er am Abend in den Medien verlauten lassen, dass bei dem Einsatz Waffen gefunden wurden.

„In der Presse wird ein Medienkrieg gegen die Bauerngewerkschaften geführt. So wird die Militarisierung gerechtfertigt“, konstatiert Juan Galindo, der Vize-Präsident der MUCA. „Den Ermordeten werden Maschinengewehre an die Seite gelegt, um zu verbreiten, dass hier eine Guerilla aufgebaut würde. Das ist absurd. Wir sind einfache Bauern, die ihr Land bebauen wollen“, sagt Galindo bitter und schiebt seinen Cowboyhut zurecht. Für Pater Fausto Milla ist das alles nicht verwunderlich. „In Honduras geht es um die Verteidigung handfester ökonomischer Interessen im Blick auf Land und Ressourcen“, sagt er. Dafür sei der Putsch gegen Zelaya initiiert worden und deshalb würden auch soziale Proteste als Gefahr wahrgenommen und kriminalisiert. „Porfirio Lobo ist das öffentliche Gesicht einer Scheindemokratie. Er wird der Weltöffentlichkeit präsentiert, damit Kredite wieder freigegeben werden“, sagt er und schüttelt seufzend den Kopf.

Zehn Autostunden entfernt bietet sich in der Hauptstadt von Honduras ein scheinbar friedlicheres Bild. Hier gibt es keine Militärfahrzeuge und keine Straßensperren. An den Putsch vom 28. Juni 2009 erinnern in Tegucigalpa auf den ersten Blick nur die unzähligen Graffitis an den Häuserwänden. „Putschisten raus!“ prangt an den Mauern der kopfsteingepflasterten Sträßchen und der großen Boulevards. In der Fußgängerzone herrscht geschäftiges Treiben. Verkäufer fordern die Passanten auf, einen der zahlreichen Second-Hand-Läden mit Altkleidern aus den USA zu betreten. Büroangestellte essen in Fast-Food-Ketten zu Mittag. Doch auch hier glaubt die Mehrheit der Bevölkerung nicht an eine Rückkehr zur Demokratie mit Porfirio Lobo. Laut einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts CESPAD gehen fast zwei Drittel der Befragten davon aus, dass hinter den Kulissen noch immer Militärs und Unternehmer das Land regieren.

„Wie kann in einem Klima der Angst eine Debatte stattfinden?“, kommentiert Gloria Oquelí, die ehemalige Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments, Lobos Aufruf zu einem Dialog zwischen Regierung und Opposition. „Wir sind alle von Verhaftungen, Folter und Entführungen bedroht und fürchten um unsere Angehörigen.“ Mehr als die Hälfte der Mitglieder der Liberalen Partei – einst eine der beiden großen Parteien von Honduras - haben sich mit dem Putsch der Demokratiebewegung angeschlossen, die aus dem Zusammenschluss von über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen hervorgegangen ist. „Solange die Opposition durch Morde dezimiert wird, kann von Demokratie keine Rede sein.“ Auch das im November verabschiedete Antiterrorismusgesetz hält Gloria Oquelí für ein Instrument der Kriminalisierung derer, die sich noch immer nicht zum Schweigen bringen lassen.

„Heute gibt es keine spektakulären Fernsehbilder mehr von erschossenen Demonstranten. Aber oppositionelle Journalisten, Rechtsanwälte und Gewerkschafter werden gezielt vor ihrer Haustür ermordet“, bestätigt Alba Ochoa vom Komitee der politischen Häftlinge, Verfolgten und Exilierten von Honduras (CPPEPH). Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zählt in einem im Dezember erschienenen Bericht mindestens 18 politisch motivierte Morde seit dem Amtsantritt Lobos. Auf der Liste der Staaten, in denen die meisten Journalisten umgebracht werden, liegt Honduras auf Platz drei. Setzt man die Morde ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl – die beträgt in Honduras nur 7,8 Millionen –, dann müsste das Land noch vor Mexiko und Pakistan stehen. „Wer die Todesschwadrone und ihre Auftraggeber sind, kann niemand genau sagen“, berichtet Ochoa. Ihre Taktiken jedoch sind in diesem Land, das die Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Militär regiert wurde, altbekannt.

Ana Pineda, die dem neu geschaffenen Menschenrechtsministerium vorsteht, wirft Sicherheitsminister Óscar Álvarez öffentlich vor, die Todesschwadrone gingen in Komplizenschaft mit der staatlichen Exekutive vor. Auf das von Lobo eingerichtete Ministerium setzt die Sonderstaatsanwältin für Menschenrechte, Sandra Ponce, große Hoffnung. „Innerhalb der Sicherheitskräfte muss eine Kultur des Respekts der Menschenrechte geschaffen werden.“ Die Botschaft der Regierung von Porfirio Lobo an die Außenwelt ist klar: Honduras ist ein Rechtsstaat, in dem die Menschenrechte geachtet werden. So ist sie auch der Verpflichtung nachgekommen, eine „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ zu schaffen, wie es 2009 in den internationalen Verhandlungen von San José um eine Beilegung des Konflikts in Honduras vereinbart wurde. Die Kommission soll die „Ereignisse rund um den 28. Juni 2009“ aufarbeiten und damit die Grundlage für eine Versöhnung im Land schaffen. Eine juristische Strafverfolgung ist allerdings nicht vorgesehen. Menschenrechtsverletzungen werden in einem untergeordneten Bericht abgehandelt.

„Das ist keine Grundlage für Versöhnung“, sagt die Aktivistin Ochoa resigniert. „Die staatlichen Institutionen waren am Putsch beteiligt und verhandeln nun ihre eigenen Taten.“ Obwohl die Kommission von den Vereinten Nationen, den USA und der Europäischen Union (EU) unterstützt wird, wird sie von der honduranischen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Die renommierte Menschenrechtsorganisation COFADEH berichtet, dass Zeugenaussagen unter Druck erzwungen würden. Die zivilgesellschaftliche Menschenrechtsplattform hat nun eine alternative Wahrheitskommission geschaffen, die sich mit Verstößen gegen Menschenrechte und die Verfassung seit dem Putsch befasst. Die alternative Kommission wird bisher allerdings lediglich von den Niederlanden unterstützt. „Unsere größte Hoffnung bleibt eine Strafverfolgung der intellektuellen Köpfe des Putsches durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag“, sagt Pater Fausto Milla, eines der führenden Mitglieder der Kommission.

Während die beiden Wahrheitskommissionen um die Definitionsmacht über Vergangenheit und Gegenwart ringen, führt die Demokratiebewegung die Debatte um die Zukunft. Es gibt zwar keine Massendemonstrationen mehr auf den Straßen, aber in den Vierteln und Dörfern geht die Organisierung weiter. Über 1,3 Millionen Menschen, fast ein Drittel der stimmberechtigten Bevölkerung, fordern inzwischen mit ihrer Unterschrift eine Änderung der Verfassung ein. Denn als Erbe der Militärherrschaft der 1980er Jahre eröffnet sie wenig Spielraum für eine Volksbeteiligung. Der Historiker und Künstler Edgar Soriano beobachtet einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft. „Im Kampf für die Wiederherstellung der Demokratie sind sich die 4,8 Millionen Menschen, die in diesem Land in Armut leben, ihres Rechts auf eine Teilhabe am politischen System bewusst geworden“, sagt Soriano lächelnd. Diese Entwicklung könne niemand mehr rückgängig machen.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2011: Behinderung: Das Recht auf Teilhabe
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