Auf See ohne Rücksicht auf Verluste

Der Publizist Wolfgang Meyer-Hentrich erläutert die ökologischen und sozialen Folgen des Kreuzfahrtbooms. Trotz seines Faktenreichtums begeistert das Buch durch eine unterhaltsame Schreibweise.

37,8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete die Kreuzfahrtindustrie laut Wolfgang Meyer-Hentrich im Jahr 2017. Eine stetig wachsende Zahl von Touristen, so schreibt er, zieht die Kombination von Kurzaufenthalten in verschiedenen Ländern mit Unterhaltungsmöglichkeiten an Bord einer traditionellen Urlaubsreise vor. Entsprechend wächst die Ausstattung der Schiffe. Das 311 Meter lange Kreuzfahrtschiff Voyager of the Sea der Firma Royal Caribbean International etwa wartet bereits mit Eislaufarena, Kletterwand, Basketballfeld und Spa-Bereich auf – und ist längst keine Ausnahmeerscheinung. Laut Meyer-Hentrich plant der Konkurrent Carnival Cruises für das Jahr 2022 die Fertigstellung eines Kreuzfahrtschiffes mit eigener Achterbahn, und bereits jetzt transportieren einzelne Schiffe bis zu 9000 Menschen pro Fahrt.

Die Last dieses Erfolgsgeschäfts tragen die Bordangestellten, die Umwelt und die Steuerzahler, wie der Autor schreibt. Während für Touristen das perfekte Ferienvergnügen inszeniert wird, arbeiten die Schiffsmitarbeiter häufig unter Mindestlohn und ohne rechtliche Absicherung. Inhaberfirmen registrieren meist ihre Schiffe in sogenannten „Flaggenstaaten“, die in der Regel klein und wirtschaftsschwach sind, und umgehen so Tarifbestimmungen, den Arbeitsschutz und manch eine Steuerzahlung. Selbst Minimalanforderungen der Bediensteten nach einem freien Tag pro Woche für die Belegschaft werden häufig nicht eingehalten.

Zudem verursachen die riesigen Schiffe laut Meyer-Hentrich schwere Umweltschäden. Die Gase und Schadstoffe, die sie ausstoßen, schädigen nicht nur die Bausubstanz historisch einzigartiger Hafenstädte, sondern fördern auch den Klimawandel und stehen unter Verdacht, Krankheiten auszulösen. Laut Meyer-Hentrich entstehen durch die Verschmutzung der Meere mit Abfällen, Lärm und giftigen Lackanstrichen „tote Zonen“ in den Gewässern entlang der viel befahrenen Kreuzfahrtrouten. Dort könne die heimische Tier- und Pflanzenwelt nicht weiter überleben.

Verantwortung übernähmen die Schiffsinhaber kaum, staatliche Kontrollen und Regulationen seien mangelhaft. Die Marktführer planten zudem weitere Vergrößerungen ihrer Flotten. Seine Beobachtungen und Analysen dokumentiert der Autor mit breit recherchiertem Hintergrundwissen. So liefert er neben einer fast schon zu ausführlichen Beschreibung, wie führende Kreuzfahrtfirmen den Markt erobert haben, informative Kapitel zu Geschäftsstrategien, Unfallrisiken, Greenwashing und dem Phänomen des sogenannten Hypertourismus – also die Überflutung einzelner Orte durch tausende Touristen. Bei aller Informationsdichte behält Meyer-Hentrich eine lebendige und abwechslungsreiche Sprache bei und bettet Sachverhalte stimmig in einen Kontext ein. Sein Buch eignet sich für eine breite Lesergruppe, vom Pauschalurlauber bis zur Umweltaktivistin.

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