Zwischen den Lidern und in der Kehle

Vor seinem Tod widmete der politische Poet Eduardo Galeano noch einen Erzählungsband den Frauen. Es ist ein mit sehr viel persönlichem Empfinden geschriebenes Stück Literatur.

1977 verfasste die US-amerikanische Schriftstellerin Marilyn French einen Roman, dessen deutsche Ausgabe den Titel „Frauen“ trägt. Er wurde zu einem feministischen Kultbuch. Nun ist wieder  ein Buch mit diesem Titel erschienen, dieses Mal von Eduardo Galeano, dem 2015 verstorbenen Publizisten aus Uruguay, der mit seinem Klassiker „Die offenen Adern Lateinamerikas“ weltberühmt wurde.

„Politische Poesie“ wurde Galeanos Schreibstil genannt. Er entwickelte sich zu einem Meister der Kurzprosa. Und so sind auch seine Erzählungen, die in dem Band „Frauen“ (im Original: „Mujeres“) versammelt sind: politisch, poetisch und kurz. Miniaturen, manchmal nicht mehr als ein paar Zeilen lang. Das Zeug zum Kultbuch hat dieses letzte Buch vor seinem Tod sicher nicht. Aber die Texte zeigen, dass sich Galeano über zahlreiche Jahre hinweg mit der Unterdrückung und Befreiung von Frauen beschäftigt hat.

Rita Hayworth kommt darin vor, Marilyn Monroe, Sappho, Aphrodite, Maria, Teresa von Ávila, Hildegard von Bingen und Rosa Luxemburg. Ähnliches haben auch Autorinnen aus den Reihen der neueren Frauenbewegung gemacht: Frauen literarisch zum Leben erweckt, Geschichte und Geschichten aus ihrer Perspektive erzählt. Galeanos Schlaglichter stehen dem nicht nach, er skizziert seine Heldinnen ebenso sensibel wie pointiert, und seine Pointen bringen das Besondere der jeweiligen Frau, ihrer Erfahrungen, Leiden oder Kämpfe, auf den Punkt. Sogar die Leistungen der deutschen Fußballerinnen werden gewürdigt, die 2003 und 2007 Weltmeisterinnen wurden, obgleich der DFB Frauen in Deutschland von 1955 bis 1970 das Fußballspielen verboten hatte. „Meisterinnen“ ist dieser Text überschrieben.

Am überzeugendsten aber ist Galeano dort, wo er Frauen aus Ländern des Südens sichtbar macht. An deren Schicksalen ist er „näher dran“, als es die westliche Frauenbewegung war. So begegnen uns brasilianische und mexikanische Freiheitsheldinnen, aber auch Àngela Loij, eine der letzten Angehörigen des Ona-Volkes auf Feuerland und die letzte, die dessen Sprache sprach. Galeanos Prosastücke erlauben  auch einen Blick auf Maria Isabel, die in den Trümmern ihres Hauses nach irgendetwas sucht, das nicht von den Militärs zerstört wurde. Auf Lélia und Angélica, die in Mexiko-Stadt ihren Körper verkaufen; auf Maruja, die alterslose Hausangestellte in Lima mit dem gesenkten Blick, und auf eine namenlose Bäuerin am Stadtrand von San Salvador, vom Krieg vertrieben, „knochendürr und hässlich“, eine von den Abertausenden, die „von einer Hungersnot in die nächste Hungernot fallen“.

Frauen scheinen Galeano wirklich nah gewesen zu sein. Das Buch hinterlässt den Eindruck, dass er die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts in ihren zahlreichen Facetten nicht nur intellektuell nachvollzogen, sondern auch gefühlt hat, und dass er auf die Leistungen und Erfolge von Frauen aufrichtig stolz war. „Ich kann nicht einschlafen“, schrieb er 1989 in einem Dreizeiler, „da ist eine Frau zwischen meinen Lidern. Wenn ich nur könnte, würde ich ihr sagen, sie soll gehen; aber da ist eine Frau in meiner Kehle.“

Fast scheint es, als ob die Frau zwischen seinen Lidern mit weiblichem Blick auf die Welt geschaut und die Frau in seiner Kehle ihre weibliche Stimme erhoben hat. Und dass er ihnen nicht gesagt hat, dass sie gehen sollen, sondern ihnen mit „Mujeres“ Raum gegeben hat, bevor er selbst gehen musste.

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