Ralf Leonhards Buch über Zentralamerika verschafft einen guten Einblick in die Region und stellt wichtige Zusammenhänge her. Dabei widmet er sich den Ländern unterschiedlich intensiv.
Wenn es etwas gibt, worüber sich Mittelamerikaner einig sind, dann ist es ihre Verehrung für Francisco Morazán. Der einstige Präsident der Zentralamerikanischen Union sowie Staatschef von Honduras, El Salvador und Costa Rica kämpfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts für soziale Gerechtigkeit, baute Schulen und setzte sich für Meinungs- und Pressefreiheit ein.
Als Vordenker seiner Zeit träumte er von einem vereinten Zentralamerika, für das der große Modernisierer mehrere Kriege führte. Nach seinem Tod ging Morazán in die Geschichte ein und wird noch heute in ganz Zentralamerika verehrt.
Was die sieben Länder Zentralamerikas ansonsten noch gemeinsam haben, nämlich die spanische Kolonialgeschichte, die ungleiche Verteilung des Reichtums und vielfältige Naturlandschaften, aber auch was sie trennt, arbeitet Ralf Leonhard in seinem Buch heraus.
Im ersten Teil stellt der Autor, der selbst jahrelang in in der Region gelebt hat, die einzelnen Staaten der Landbrücke zwischen dem nordamerikanischen und dem südamerikanischen Kontinent vor. Die Porträts von Guatemala, Belize, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama fallen unterschiedlich ausführlich aus und bieten hauptsächlich einen historischen Überblick.
Im zweiten Teil widmet sich Leonhard thematischen Schwerpunkten wie der Rolle der Religion, indigenen Völkern, reichen Großgrundbesitzerfamilien, Frauenrechten sowie dem ambivalenten Verhältnis zu den USA. Dabei springt er immer wieder zwischen den Ländern hin und her. Es ist für den Leser also hilfreich, entweder Vorkenntnisse zu besitzen oder beim ersten Teil aufgepasst zu haben, um den Faden nicht zu verlieren.
Wie ambivalent die einzelnen Länder auch in sich sind, illustriert der Autor anhand eindrücklicher Beispiele. So zählt das Weltwirtschaftsforum Nicaragua zu den zehn Ländern weltweit, in denen die Gleichstellung der Frau am ehesten verwirklicht ist. Politisch gesehen mag das stimmen – die Hälfte der Ministerposten im Kabinett besetzen Frauen und ein Drittel der Polizisten sind weiblich – doch innerhalb der Gesellschaft sind Frauen nicht gleichberechtigt. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und sexuelle Übergriffe von Vätern, Brüdern oder Onkeln keine Seltenheit. Vergewaltigungen werden kaum angezeigt. Auch die Selbstbestimmung der Frau sieht Leonhard als Mythos, nicht zuletzt weil in Nicaragua eines der strengsten Abtreibungsgesetze der Welt gilt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Rosario Murillo, Vizepräsidentin und Präsidentengattin, eine der vehementesten Anti-Abtreibungsaktivistinnen des Landes ist. Sie ließ ein 12-jähriges Mädchen bewachen, das durch eine inzestuöse Vergewaltigung schwanger geworden war, um zu verhindern, dass sie das „Geschenk Gottes“ illegal abtreiben ließ.
Während viele Zentralamerikaner arm sind, gibt es einige reiche Oligarchen, die die Länder kontrollieren. Meist sind das alteingesessene Kolonial-Familien, die ihren Reichtum durch Kaffee- oder Bananenanbau aufgebaut haben. Die Oligarchen steuern nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik. So stammen in Costa Rica 33 der 44 Präsidenten von drei Familien ab. In Nicaragua sind die beiden mächtigsten Familien die Chamorros und die Pellas. Die Chamorros stellten bis jetzt fünf Präsidenten, während sich die Familie Pellas diskret aus der Politik zurückhält. Ansonsten ist diese unbestritten reichste Familie Nicaraguas jedoch in allen wirtschaftlichen Branchen tätig – von der Zuckergewinnung bis zur Bankbranche. Oft verdanken die Oligarchen ihren Reichtum dem Landraub während der Kolonialzeit.
Über diese unrühmliche Zeit und andere Epochen bietet Leonhards Buch einen auch sprachlich gut verständlichen historischen Überblick. Manche Länder kennt der Autor wohl besser als andere. So liegt ein Schwerpunkt auf Nicaragua und Guatemala, Länder wie Belize und Panama geraten im Verlauf des Buches leider etwas ins Abseits. Wer nach der Lektüre in eines der Länder reist, wird aber auf jeden Fall mit einem offeneren Blick unterwegs sein und Zusammenhänge besser verstehen können.
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