Tierno Monénembos Roman erzählt vom Sozialismus in Afrika und Kuba und von der Suche nach Wurzeln. Und er besingt Charme, Heiterkeit und Musik der Karibikinsel.
Tierno Alfredo Diallovogui ist von Paris nach Havanna gekommen, um das Schicksal seiner kubanischen Mutter zu erforschen. Der Vater des Protagonisten stammt aus Guinea. Auf seiner Spurensuche lernt Tierno Ignacio kennen, einen Kubaner mit afrikanischen Wurzeln, der sich selbst als „ein Nichts aus Havanna, ein Anonymus, eher unbekümmert als vor Hunger sterbend“ charakterisiert. Er nimmt Touristen aus, denen er sich als Fremdenführer anbietet. Und er ist derjenige, der Tiernos Geschichte erzählt.
Durch Ignacios Augen sehen wir Tierno trinken, singen, tanzen wie ein Kubaner und sich mit zahlreichen Frauen vergnügen. Ignacio begleitet Tierno auch bei der Spurensuche nach seiner Mutter; er heftet sich an seine Fersen, beobachtet ihn, oft heimlich. Schon in früher Morgenstunde postiert er sich vor Tiernos Hotel, um dessen Kommen und Gehen auszuspionieren. So taucht er hinab in Tiernos „verborgenes verhängnisvolles Leben“.
Als Tierno später wieder fort ist und Ignacio sich allein gelassen fühlt, „den Kopf voller Rätsel“, versucht der, diese Rätsel schreibend zu lösen. Er verfasst einen langen Brief an Tierno. Darin will er die mysteriöse Geschichte um dessen Mutter entwirren. Das vollzieht sich langsam, auf verschlungenen Wegen.
Beim Schreiben kommt ihm „die ansteckende Wirkung des Buches“ zugute. Er, der nie mehr gelesen hat als die Seiten des Parteiorgans Granma und die Reden Castros, glaubt von sich, dass er von Literatur genauso viel verstehe wie eine andere, belesene Romanfigur namens Poet. Der Büchervirus habe ihm alle Sätze, alle Ideen und alle Bilder eingeimpft, die in Poets Kopf herumschwirrten. So bedient sich Ignacio einer Sprache, die einerseits sehr sinnlich klingt – und manchmal zu sehr den Geruch von Parfum, Schweiß und Rum heraufbeschwört –, andererseits intellektuell anspruchsvoll ist. Diese wortgewaltige, bildhafte Sprache macht den besonderen Ton des Romans aus. Ignacio, obschon eine zwielichtige Gestalt, hat etwas von einem westafrikanischen Griot.
Die Handlung des Romans verwebt der Autor mit der Geschichte des Sozialismus in Kuba und Afrika, die an einer Stelle so zusammenfasst wird: „Auf Kuba wie in Afrika lebte man im Rhythmus der Säuberungen und Hinrichtungen, endlosen Ansprachen und Knappheiten aller Art preisgegeben.“ Hier spielt sicherlich die Erfahrung des Autors eine Rolle, der 1969 aus seiner Heimat Guinea nach Senegal floh und nun in Kuba sowohl das Afrikanische als auch das Diktatorische wiederfindet. Eine Schlüsselfigur im Buch ist auch der Chef der Miliz von Havanna-Zentrum, der „über die Menschen befiehlt und über die Elemente gebietet“. Nur über seine Frau gebietet der Mann mit dem Geruchssinn eines Elefanten, den Facettenaugen und Tentakeln nicht – die geht, von ihm unbemerkt, fremd. Die solchermaßen überzeichnete und verfremdete politische Geschichte liefert den Hintergrund für die dunklen Geschehnisse um Tierno Alfredo Diallovogui und seine Mutter.
Vieles daran bleibt verworren und damit schwer lesbar, trotz der Erzählkunst von Ignacio beziehungsweise der des Autors, der für seine Werke vielfach ausgezeichnet wurde. Aber wegen des ausdrucksstarken literarischen Stils lohnt die Lektüre sich dennoch. Und bei aller Kritik am sozialistischen Kuba ist der Roman getragen von Begeisterung: für den Charme und die Heiterkeit dieser Insel, für ihre Menschen, ihre Musik und die afrikanischen Wurzeln Kubas.
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