Wie können Städte sicher und nachhaltig gestaltet werden? Der Sozialgeograf Einhard Schmidt-Kallert zeigt, wie groß diese Aufgabe ist.
Der Trend ist nicht aufzuhalten: Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt. 2014 lebten 54 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, 2050 sollen es laut Prognosen des UN-Bevölkerungsfonds rund zwei Drittel sein. Regierungen, Stadtplaner, Unternehmer, aber auch Basisbewegungen und die Stadtbewohner selbst stehen vor der schwierigen Aufgabe, Städte zu lebendigen, sauberen und sicheren Orten für alle zu machen – ganz im Sinne des UN-Nachhaltigkeitsziels Nummer elf.
Der Sozialgeograf Schmidt-Kallert hat unzählige kleine, große und mittlere Städte im globalen Süden erforscht und in ihnen gelebt. Auf der Grundlage seines breiten Wissens liefert sein Buch eine Fülle von Aspekten und Beispielen, die mitunter etwas verwirren. Er schildert zunächst den offenbar unwiderstehlichen Sog, den Städte mit dem Versprechen auf Ausbildung, Arbeit und ein besseres Leben auf Landbewohner ausüben, und wie sie häufig zwischen zwei Welten pendeln. Er erklärt, wie Slums und Favelas wachsen und beschreibt Versuche, sie zu legalisieren.
Die Prozesse der Verstädterung in Lateinamerika, Afrika und Asien sind laut Schmidt-Kallert sehr unterschiedlich verlaufen. Vor allem afrikanischen Regierungen und Kommunalverwaltungen stellt er ein schlechtes Zeugnis aus: Viele von ihnen seien „völlig überfordert“, das städtische Wachstum zu steuern. Auch in Lateinamerika hätten nur wenige Städte Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung, die die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden hilft, so der Autor. Eine der wenigen Ausnahmen ist Rosario in Argentinien – die drittgrößte Stadt des Landes gilt als besonders fahrradfreundlich und verfügt über viele Parks und öffentliche Räume, in denen sich die Menschen begegnen können.
Als beispielhaft für Asien stellt Schmidt-Kallert die städtebaulichen Strategien Indiens und Chinas näher vor, darunter das umfangreiche indische Programm, 20 Metropolen in „Smart Cities“ zu verwandeln – mit energieeffizienten Gebäuden, ohne Smog und ohne Staus. Das klingt allerdings utopisch, denn unter letzterem leiden die Bewohner so gut wie jeder Großstadt im globalen Süden.
Der Verkehrsplanung widmet der Autor ein eigenes Kapitel, in dem er auch leidgeprüfte Pendler zu Wort kommen lässt. Sie sind jeden Morgen stundenlang zu ihrem Arbeitsplatz unterwegs, manche haben das Auto zum Büro umfunktioniert, um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Die Qualität der Verkehrssysteme und der Infrastruktur beeinflusst demnach in höchstem Maße die Lebensqualität und ist entscheidend für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Bislang sieht Schmidt-Kallert in den meisten Metropolen des Südens – wenn überhaupt – technische Lösungen wie die Einführung von Straßenbahnen, öffentlichen Bussen, den Bau von Klär- oder Mülltrennungsanlagen. Das ist ihm zu wenig: Um wirksam zu sein, müssten sie mit örtlich angepassten weiteren Konzepten kombiniert werden. Das gilt auch für den Klimaschutz – ein Thema, das Bürgermeister im Norden und im Süden zunehmend umtreibt.
Schmidt-Kallert hat ein informatives und insgesamt gut verständliches Buch über Urbanisierung geschrieben, in dem er gegenwärtige Missstände – und wenige positive Beispiele – anschaulich schildert und analysiert. Es ist als Einführung gedacht; wer sich gezielt für einen Kontinent, eine Stadt oder ein Thema wie den Umgang mit Müll interessiert, kommt nicht auf seine Kosten. Für sie oder ihn bietet der Autor Artikel und Bücher zum Weiterlesen an.
Können die Diskussionen und Beschlüsse auf der UN-Konferenz Habitat III Ende Oktober dazu beitragen, die Probleme in den Städten des Südens zu bewältigen? Schmidt-Kallert ist angesichts der Erfahrungen mit vorangegangenen Treffen sehr skeptisch. Fest steht für ihn, dass „auf keinen Fall“ Experten aus dem globalen Norden für die Menschen im Süden Entwürfe für lebenswerte Städte entwickeln sollten. Doch räumt er ein: Auf die Visionen seiner Kollegen aus Afrika, Asien und Lateinamerika warte er noch „sehnsüchtig“.
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