Berlin - Der frühere Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat Vorwürfe, die Bundesregierung habe vor dem Abzug aus Afghanistan nur unzureichend an die Sicherheit der Ortskräfte gedacht, zurückgewiesen. Gefragt danach, ob die Regierung ihrer Fürsorgepflicht für die afghanischen Mitarbeiter deutscher Streitkräfte und Organisationen nachgekommen sei, antworte Müller am Donnerstag im Bundestagsuntersuchungssausschuss: „Ja, umfassend.“ Er hob hervor, dass es unter den Ortskräften der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) keine Toten gegeben habe und auch niemand im Gefängnis sitze.
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss soll die Umstände der militärischen Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 aufklären. Die Operation war wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die radikal-islamischen Taliban nötig geworden. Im Zentrum steht dabei auch die Frage, ob durch eine Fehleinschätzung der Sicherheitslage afghanische Mitarbeiter deutscher Organisationen gefährdet wurden und früher Vorbereitungen für deren Schutz oder Ausreise hätten getroffen werden müssen. Viele Ortskräfte von Bundeswehr, Polizei und GIZ mussten wegen des überstürzten Abzugs zurückbleiben.
Müller, der im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bis 2021 Entwicklungsminister war und heute Generaldirektor bei der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) ist, wurde am Donnerstag über rund vier Stunden als Zeuge im Untersuchungsausschuss vernommen. Er hob mehrfach hervor, dass es einen Unterschied zwischen den Ortskräften der Bundeswehr und denen im Dienst der Entwicklungshilfe gebe.
Bis zum Fall von Kabul hätten die allermeisten dort bleiben wollen, und selbst danach sei eine „nicht unerhebliche Zahl“ von Helfern dort geblieben, sagte Müller. Anfang Juni 2021 habe es nur gut 40 sogenannte Gefährdungsanzeigen von Ortskräften der GIZ gegeben. Mit diesen Anzeigen baten Ortskräfte um ein Visum für Deutschland. Erst nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban Mitte August sei die Zahl der Anträge drastisch gestiegen, erinnerte sich Müller, von rund 50 am 14. bis auf 829 am 18. August. Schon im Frühjahr 2021 sind Müller zufolge Listen mit den Namen der Ortskräften in seinem Ministerium angelegt worden.
Während zunächst nur Ortskräfte einen Antrag stellen konnten, die vom damaligen Zeitpunkt aus gesehen in den zwei Jahren zuvor für die Deutschen in Afghanistan tätig waren, wurde der Zeitraum 2021 bis 2013 zurück ausgeweitet. Müller machte im Ausschuss seine anfängliche Skepsis deutlich. Die Ausweitung hätte für den Bereich der GIZ-Mitarbeiter und ihrer Familien bedeutet, dass bis zu 50.000 Menschen einen Anspruch bekommen hätten, nach Deutschland zu kommen, erläuterte er.
Er habe sich schwer vorstellen können, wie das zu organisieren sei, sagte Müller. Nachdem die Ausweitung aber beschlossen wurde, habe er dafür plädiert, dies im Sinne der Gleichbehandlung nicht nur für Helfer der Bundeswehr, sondern auch für Entwicklungshelfer so zu handhaben.
In seinem Eingangsstatement verteidigte Müller das deutsche Engagement in der Entwicklungsarbeit in Afghanistan. Was die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dort geleistet habe, „ist ein bleibender Wert“, sagte er. Dies gelte insbesondere, wenn er an die Frauen in Afghanistan denke. Es seien Millionen Frauen unterrichtet und Schulen gebaut worden. „Zehntausende Frauen konnten und können auch heute noch ein ganz anderes Leben führen“, sagte Müller.