Tunis - Amtsinhaber Kais Saied hat die Präsidentschaftswahl in Tunesien im ersten Wahlgang deutlich gewonnen. Dies gab die Wahlbehörde ISIE, deren Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden, am Montagabend in Tunis bekannt. Er erhielt nach offiziellen Angaben 90,69 Prozent der Stimmen. Bereits am Vorabend hatte eine Nachwahlbefragung eine große Mehrheit für ihn vorausgesagt. Insgesamt hatten sich rund 2,8 Millionen der mehr als 9,7 Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt. Die Wahlbeteiligung lag laut vorläufigem amtlichen Endergebnis bei 28,8 Prozent. Dies sind deutlich weniger als bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2019. Damals lag sie im ersten Wahlgang bei fast 49 Prozent.
Der liberale Gegenkandidat Ayachi Zammel erhielt nach Angaben der ISIE 7,35 Prozent, der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui 1,97 Prozent. Zammel wurde von weiten Teilen der Opposition unterstützt. Er war wegen Unregelmäßigkeiten bei Unterschriften zur Unterstützung seiner Kandidatur zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden, sitzt im Gefängnis und konnte daher keinen Wahlkampf machen. Seine Unterstützer sprechen von politisch motivierten Verfahren gegen den Kandidaten.
Der Wahlkampf war von mehreren juristischen Auseinandersetzungen überschattet. Kritiker stellten daher die Legitimität der Abstimmung infrage. Mehrere von der Wahlbehörde ISIE abgelehnte Kandidierende hatten im Vorfeld Widerspruch gegen ihre Ablehnung eingereicht, dreien von ihnen gab das zuständige Verwaltungsgericht recht. Die ISIE weigerte sich jedoch, die drei Kandidaten ins Rennen aufzunehmen. Daraufhin verabschiedete das Parlament zehn Tage vor der Wahl eine Gesetzesänderung und entzog dem Gericht die Zuständigkeit für Wahlanliegen, um zu verhindern, dass es die Abstimmung im Nachhinein für ungültig erkläre.
Die tunesische Wahlbeobachterorganisation Chahed gab am Montag in einer Pressekonferenz bekannt, mehrere Regelverstöße beobachtet zu haben, und beklagte zudem die geringe Zahl von Wahlbeobachtern. Mehrere tunesische Nichtregierungsorganisationen hatten im Gegensatz zu früheren Abstimmungen von der Wahlbehörde keine Akkreditierungen erhalten.
Amtsinhaber Saied war im Oktober 2019 demokratisch gewählt worden. Am 25. Juli 2021 rief er in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden seitdem zunehmend unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, Dutzende Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.