Santiago de Chile - In Chile haben am Mittwoch (Ortszeit) landesweit Tausende Menschen an die Opfer des Militärputsches vom 11. September 1973 erinnert. In mehreren Stadtvierteln der Hauptstadt Santiago hatten Menschenrechtsorganisationen zu öffentlichen Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen aufgerufen. Vor dem Nationalstadion, das nach dem Putsch als Massengefängnis diente, versammelten sich Hunderte Menschen, zündeten Kerzen an und riefen Parolen. In Armenvierteln Santiagos kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Am 11. September 1973 hatten das chilenische Militär und die Polizei unterstützt vom US-Auslandsgeheimdienst CIA gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung unter Salvador Allende geputscht. Die Militärjunta unter der Führung von Augusto Pinochet regierte über die folgenden 17 Jahre das Land mit harter Hand.
Laut offiziellen Zahlen ermordeten die Militärs mehr als 3.000 Personen, verhafteten und folterten über 28.000 Menschen. Zwar kehrte Chile 1990 zur Demokratie zurück, doch der ehemalige Diktator Pinochet blieb bis 1998 Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte. Pinochet starb im Jahr 2006, ohne dass ihm in Chile jemals der Prozess gemacht wurde.
Der chilenische Präsident Gabriel Boric kritisierte bei der zentralen Gedenkveranstaltung im Regierungspalast La Moneda, dass bis heute Vertreter rechter Parteien behaupten, der Militärputsch vom 11. September 1973 sei der einzig mögliche Weg aus der damaligen politischen Krise gewesen. „Die Ausrottung von Mitmenschen und das Ende der Demokratie sind niemals die einzige Alternative“, sagte Boric. Er kündigte an, für das kommende Jahr das Budget für Gedenkstätten zu erhöhen und den nationalen Plan zur Suche von Verschwundenen voranzutreiben. Bis heute suchen Angehörige nach den menschlichen Überresten von mehr als 1.100 verschleppten Menschen, deren Leichen nie aufgetaucht sind.
Die Menschenrechtlerin Haydee Oberreuter würdigte die Ankündigungen des Präsidenten. „Seit den 90er Jahren verspricht man uns Wahrheit und Gerechtigkeit, beides sei bis dato nicht erreicht“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Regierung arbeite zudem zu wenig mit den Opferorganisationen zusammen und zeige zu wenig Transparenz im Aufarbeitungsprozess. „Dass wir heute Gedenkstätten in Chile zählen und ein paar Fortschritte in der Menschenrechtspolitik aufweisen können, liegt an den Organisationen der Zivilgesellschaft, die am Thema dran bleiben“, sagte Oberreuter, die selbst während der Diktatur gefoltert wurde.
Sie beklagte, dass Ende 2019 der Staat erneut massive Menschenrechtsverletzungen begangen habe, die bis heute unaufgeklärt seien. Ab Oktober 2019 war es im Zuge von massiven Protesten gegen die damalige rechte Regierung unter Sebastián Piñera erneut zu massiver Gewalt der Polizei und des Militärs gegen Demonstrierende gekommen, die zu mehreren Dutzend Toten und hunderten Verletzten führte.