Berlin - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, das von der Bundesregierung entwickelte Modell von Zurückweisungen durch beschleunigte Dublin-Verfahren auch ohne Unterstützung der Union umsetzen zu wollen. Man werde alle Möglichkeiten für Zurückweisungen im Rahmen des geltenden Rechts nutzen, sagte Scholz am Mittwoch im Bundestag. Die Regierung habe ein Konzept für effektive Zurückweisungen auf den Tisch gelegt und werde es auch umsetzen, „selbst wenn Sie nicht mitmachen“, sagte er an CDU und CSU gerichtet.
Der Kanzler widmete einen großen Teil seiner Rede in der Generaldebatte zum Haushalt dem Thema Migration, nachdem ein Treffen von Vertretern der Regierung, der Länder und der Union als größter Oppositionsfraktion im Bundestag am Dienstag erneut ohne Verständigung zu Ende ging. CDU und CSU fordern pauschale Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen, wenn ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Scholz warf der Union eine „Theateraufführung“ vor und forderte eine seriöse Politik bei diesem Thema ein.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) wies diesen Vorwurf als „infam“ zurück und bekräftigte die Forderung, „wenigstens auf Zeit die Zurückweisung aller Asylbewerber“ durchzusetzen. Dies sei rechtlich zulässig, praktisch möglich und politisch geboten, sagte er im Bundestag.
Die Bundesregierung lehnt den Unionsvorschlag aber insbesondere wegen europarechtlicher Regelungen ab. Danach muss zumindest geprüft werden, welcher Staat zuständig ist, und eine Zurückweisung dorthin erfolgen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Dienstag ein Modell für Zurückweisungen vorgestellt, das vorsieht, in grenznahen Einrichtungen beschleunigte Dublin-Verfahren vorzunehmen, um die rechtlich gebotene Prüfung zu ermöglichen und dennoch möglichst schnell Asylsuchende in den zuständigen Staat zurückzuschicken.
Wie ein Sprecher von Faeser erläuterte, sind für das Verfahren voraussichtlich keine Gesetzesänderungen notwendig. Es gehe vor allem um die Durchsetzung im Rahmen des geltenden europäischen Rechts, sagte er. Gemeint ist das Dublin-Verfahren, nachdem die Ersteinreiseländer Schutzsuchender für das Asylverfahren zuständig sind.
Um beschleunigte Dublin-Überstellungen vorzunehmen, wird aber das Einverständnis der betroffenen Staaten benötigt. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch in Berlin, dass bilaterale Gespräche geplant seien. Für die beschleunigten Verfahren ist aber auch die Kooperation der Bundesländer erforderlich. Sie wären für den Betrieb der geplanten Einrichtungen zuständig, sagte ein Innenministeriumssprecher. Offen blieb dabei die Frage der Finanzierung.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei und Zoll, Andreas Roßkopf, hält das Personal und die Ausstattung der Bundespolizei für nicht ausreichend für Kontrollen an allen deutschen Grenzen, die nötig sind, um die Menschen in die Verfahren zu bringen. „Deutschlands Grenze ist angesichts ihrer Länge nicht lückenlos zu überwachen“, sagte Roßkopf der „Frankfurter Rundschau“ (Mittwoch).
Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizei-Gewerkschaft innerhalb der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sagte im „Morgenecho“ auf WDR 5, er gehe davon aus, dass die Bundespolizei die zusätzlichen Grenzkontrollen stemmen könne, „aber nicht dauerhaft, sondern nur temporär“. Der Innenministeriumssprecher verwies auf die bereits zugesagten zusätzlichen Stellen für die Bundespolizei. Man gehe davon aus, dass dies zunächst ausreiche, sagte er.
Der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Flüchtlingsfragen, Christian Stäblein, appellierte derweil, in der erhitzten Debatte nicht den Flüchtlingsschutz grundsätzlich infrage zu stellen. „Wir brauchen jetzt wohlüberlegte und zielgerichtete Maßnahmen“, sagte der Berliner Bischof dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu zählten beispielsweise mehr Ressourcen für die Sicherheitsbehörden und verstärkte Extremismusprävention. „Denn Terrorismus und religiöse Fanatiker bekämpft man nicht, indem man den Flüchtlingsschutz schwächt und Gruppen unter Generalverdacht stellt“, sagte er.