Genf. Ungläubig schaut die Diplomatin aus einem lateinamerikanischen Land die Rolltreppe hinauf. Die Stufen im Palais des Nations, dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf, stehen still. Daneben ein Schild: „Diese Rolltreppe ist außer Betrieb.“ Die klammen UN sparen hier an allen Ecken und Enden: Die Bibliothek schränkt ihre Öffnungszeiten ein, die Wartung von Gebäuden, Infrastruktur und Ausrüstungen, etwa Mikrofonanlagen, wurde heruntergefahren, Klimaanlagen und Heizungen werden abgedreht.
Zur Jahreswende schloss das Palais sogar seine Tore wochenlang ganz und stellte den Betrieb ein. Neu eingestellt wird auch praktisch niemand mehr. „Wir werden diese Maßnahmen so lange wie nötig beibehalten“, erklärt Alessandra Vellucci, die Informations-Direktorin der UN in Genf.
Und nicht nur in Genf müssen die UN auf nicht absehbare Zeit den Rotstift ansetzen. Denn die Weltorganisation befindet sich in einer „ausgewachsenen Liquiditätskrise“, wie UN-Generalsekretär António Guterres Anfang des Jahres in einem Brief an die Botschafter der 193 Mitgliedsländer offenlegte. „Deswegen bin ich gezwungen, aggressive Kosteneinsparungen vorzunehmen“, kündigte er an. So müssen Beamte des New Yorker UN-Sekretariats auf Reisen verzichten, Käufe von neuen Möbeln oder Computern werden auf die lange Bank geschoben.
Insgesamt, so kalkuliert Guterres, müssen die UN die Ausgaben 2024 um 350 Millionen US-Dollar (rund 320 Millionen Euro) drücken. Das entspricht rund zehn Prozent des Budgets für das laufende Jahr in Höhe von fast 3,6 Milliarden Dollar. Diese Rosskur fällt ausgerechnet in eine Zeit gravierender Krisen und Kriege, in der immer mehr Menschen auf der Welt die Hilfe der Vereinten Nationen dringend benötigen.
So dürfte etwa der Schutz der Menschenrechte, eine der wichtigsten Aufgaben der UN, unter den leeren Kassen leiden. Hart getroffen ist das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, die zentrale Behörde gegen Folter, Unterdrückung und Willkür. Der Bereich habe bis Juli nur 152 Millionen Dollar erhalten, teilt eine Sprecherin mit. Der genehmigte Haushalt belaufe sich jedoch auf 192 Millionen Dollar.
Die Folge: „Untersuchungskommissionen, die als Reaktion auf massenhafte Gräueltaten unter anderem im Sudan, in Myanmar, Syrien, der Ukraine, im Iran und in Israel sowie den besetzten palästinensischen Gebieten eingesetzt wurden, um die strafrechtliche Verfolgung der Täter zu unterstützen, sind bereits oder werden durch Kürzungen stark beeinträchtigt“, warnt die Organisation „International Service for Human Rights“. Die Glaubwürdigkeit der UN bei der Aufarbeitung von Verbrechen werde beschädigt.
Auch bei der Nothilfe muss die Weltorganisation knapsen - also bei der Anschaffung und Verteilung von Lebensmitteln, Medizin und anderen humanitären Gütern für Millionen Opfer von Kriegen und Naturkatastrophen. Der Großteil dieser Hilfe wird zwar nicht aus dem UN-Budget finanziert, sondern über jährliche Appelle. Von den für 2024 veranschlagten 48,7 Milliarden Dollar kamen allerdings bis Ende Mai gerade einmal 7,9 Milliarden zusammen. Der zurückgetretene UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths nannte den Mangel „historisch beschämend“.
Die Hauptursache für die knappen Kassen überrascht nicht wirklich: Viele Regierungen, die selbst in Schwierigkeiten stecken, haben schlichtweg kein Geld für die UN übrig. Oder sie wollen der Weltorganisation keine Mittel geben. „Nicht alle Mitgliedstaaten zahlen ihre Beiträge in voller Höhe“, betont Generalsekretär Guterres.
Im Jahr 2023 nahmen die Vereinten Nationen nur 82,3 Prozent der Jahresbeiträge ein. Das war der niedrigste Wert in fünf Jahren. Nur 142 Mitgliedstaaten beglichen die Beiträge in voller Höhe. Die Konsequenz: Die Zahlungsrückstände der UN stiegen zum Jahresende auf 859 Millionen Dollar, gegenüber 330 Millionen Dollar im Jahr 2022. Es werden also weitere Verbrechen unaufgeklärt bleiben und Hilfsrationen gekürzt werden.