Berlin - Die Industrieländer zahlen nach Darstellung der Hilfsorganisation Oxfam effektiv deutlich weniger Klimahilfen als offiziell angegeben. Die tatsächlich erbrachte Leistung für einkommensschwache Länder habe 2022 bei 28 bis 35 Milliarden US-Dollar gelegen - und damit bis zu 88 Milliarden Dollar unter der offiziell angegebenen Summe, erklärte die Organisation am Dienstag in Berlin. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zahlten die Industriestaaten 2022 knapp 116 Milliarden Dollar an Klimahilfen.
Die Industriestaaten hatten versprochen, ärmere Länder ab 2020 mit jährlich mindestens 100 Milliarden Dollar beim Klimaschutz und der Anpassung an die Erderwärmung aus öffentlichen und privaten Quellen zu unterstützen. 2022 wurde dieses Ziel laut OECD erstmals erreicht.
Als Hauptursache für die Abweichung zu den OECD-Zahlen nennt Oxfam die große Bedeutung von Krediten. Fast 70 Prozent der Klimafinanzierung aus öffentlichen Mitteln würden in dieser Form bereitgestellt. Für zinsvergünstigte Kredite müssten die Geberländer jedoch oft nur eine vergleichsweise geringe finanzielle Anstrengung erbringen. Häufig würden sie sogar zu marktüblichen Konditionen vergeben. Zudem werde der Klimaschutz oder die Anpassung an die Erderwärmung in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit häufig zu hoch angesetzt.
Der Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig warnte vor einer Verschärfung der Schuldenkrise in einkommensschwachen Ländern. Dass die Industrieländer ihre Unterstützung vor allem über Kredite bereitstellten, widerspreche „allen Prinzipien der Gerechtigkeit“, sagte er.
Der Streit über die Höhe der Hilfszahlungen für Länder des Globalen Südens bei der Bewältigung der Klimakrise kommt auch in den internationalen Klimaverhandlungen immer wieder zum Tragen. Bei der kommenden UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan im November verhandeln die Staaten über ein neues Finanzierungsziel für die Zeit nach 2025. Fachleute rechnen dabei mit harten Verhandlungen.
In der Oxfam-Berechnung fließen Kredite nicht mit ihrem vollen Wert ein. Bemessen wird den Angaben zufolge das Zuschussäquivalent, eine rechnerische Größe, aus der sich etwa Zinsvergünstigungen gegenüber marktüblichen Konditionen ablesen lassen.