Berlin - Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist nach Darstellung der damaligen Vize-Präsidentin Tania Freiin von Uslar-Gleichen vom Tempo des Vormarschs der Taliban im August 2021 überrascht worden. „Wir haben nicht erwartet, dass Kabul am 15. August kampflos an die Taliban übergeben wird“, sagte sie als Zeugin am Donnerstag im Bundestags-Untersuchungsausschuss zu Afghanistan.
Der BND steht vor allem wegen seiner Lageeinschätzung bei einer Krisenstabssitzung in der Kritik, die am 13. August 2021, zwei Tage vor der Einnahme Kabuls, im Auswärtigen Amt in Berlin stattfand. Dort habe der BND vorgetragen, dass eine Übernahme Kabuls durch die Taliban vor dem 11. September 2021 „eher unwahrscheinlich“ sei. Diese Information habe sich auf die Aussagen „der Amerikaner“ gestützt, sagte Von Uslar-Gleichen vor dem Untersuchungsausschuss. Dieses offizielle Abzugs-Datum hatte US-Präsident Joe Biden bereits Monate vorher bekannt gegeben.
Der BND habe Von Uslar-Gleichen zufolge in seiner Berichterstattung vor allem die politische und militärische Stärke der Taliban bewertet. Aus Sicht des Nachrichtendienstes hätten diese nicht die Möglichkeit gehabt, die Stadt militärisch in 48 Stunden einzunehmen. „Die Dinge sind anders gekommen“, sagte die ehemalige Vizepräsidentin. Schlussendlich sei Kabul den Taliban kampflos übergeben worden.
Trotzdem verteidigte Von Uslar-Gleichen die damalige Einschätzung des BND. Es sei in dem Moment „die bestmögliche Darstellung“ gewesen. Man habe in besagter Krisenstabssitzung auch auf mehrere „Kipppunkte“ verwiesen, die eine Beschleunigung der Machtübernahme herbeiführen könnten. Zu diesen Faktoren gehörten zum Beispiel ein früherer Abzug der US-Truppen oder die Evakuierung der internationalen Botschaften.
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss soll die Umstände der militärischen Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 aufklären. Die Operation war wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die radikal-islamischen Taliban nötig geworden.