Kabul, Doha - Es wäre eine Premiere auf der internationalen Bühne: Dieses Wochenende könnten Vertreter der Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha erstmals offiziell mit Diplomaten der Vereinten Nationen verhandeln. Ziel des Treffens ist es, Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit mit dem Regime in Kabul zu erörtern und Afghanistan schrittweise aus der internationalen Isolation zu lösen.
Bis heute hat keine Regierung der Welt das Islamische Emirat der Taliban offiziell anerkannt, die im August 2021 wieder die Macht in Afghanistan übernommen hatten. Grund dafür sind vor allem die brutalen Einschränkungen der Rechte von Frauen und Mädchen im Land. Sie sind nicht nur von weiterführenden Schulen und Universitäten ausgeschlossen, sondern auch von Teilen des Arbeitsmarktes und des öffentlichen Lebens.
Die Vereinten Nationen haben eine offizielle Anerkennung und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen stets an die Einhaltung der Menschenrechte und die Bildung einer inklusiven Regierung geknüpft. Doch drei Jahre nach der Machtübernahme scheint die diplomatische Kluft zwischen den Extremisten und der internationalen Staatengemeinschaft unüberwindbar. Die Taliban zeigen sich bisher wenig kompromissbereit. Immer radikaler hatten sie zuletzt ihre drakonische Politik durchgesetzt.
Dabei hat die Isolierung des Landes auch Folgen für die Bevölkerung: In Afghanistan herrscht eine der größten humanitären Krisen weltweit mit knapp 24 Millionen Hilfsbedürftigen. Das Land ist auf internationale Hilfe und die Aufhebung wirtschaftlicher Beschränkungen angewiesen. Auch die Spendenbereitschaft internationaler Geberländer hat zuletzt deutlich abgenommen.
Der UN-Sonderkoordinator für Afghanistan, Feridun Sinirlioglu, hatte daher bereits vergangenes Jahr im Auftrag von UN-Generalsekretär António Guterres einen vagen Fahrplan entworfen, wie Beziehungen mit den Taliban aufgebaut werden könnten. Als Meilensteine nannte er neben dem uneingeschränkten Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Arbeit und einer inklusiveren Regierung auch eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Taliban sowie den Kampf gegen Terrorismus und Drogen.
Als die UN bei einem Treffen im Februar jedoch auch Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft, darunter Frauenrechtlerinnen und afghanische Journalisten, nach Doha eingeladen hatten, kam es zum Eklat. Die Islamisten zogen ihre Teilnahme in letzter Minute zurück und erklärten, keine anderen Vertreter Afghanistans bei den Gesprächen zu akzeptieren. Nach mehrmonatigen Verhandlungen soll nun ein neuer Anlauf genommen werden - diesmal ohne die Anwesenheit zivilgesellschaftlicher Akteure.
Dagegen protestieren Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“, aber auch westliche Regierungen. Die Bundesregierung hat zusammen mit zehn weiteren Staaten, darunter Frankreich und Italien, vergangene Woche in einem Brief an die UN gedroht, dem Treffen fernzubleiben, wenn zivilgesellschaftliche Akteure nicht anwesend sind und die Menschenrechtslage nicht auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Der Afghanistan-Experte Graeme Smith hält eine solche Haltung nicht für zielführend. Es sei ein Irrglaube, dass sich die Taliban von außen unter Druck setzen ließen, um Versprechen wie die internationale Anerkennung ihrer Regierung einzulösen, sagt der Experte von der Denkfabrik Crisis Group. Länder wie Deutschland beharrten auf Menschenrechtsdiskussionen und lehnten Gespräche über wirtschaftliche Fragen ab, die auch für die weibliche Bevölkerung Ergebnisse bringen könnten, welche verhältnismäßig am stärksten unter der humanitären und wirtschaftlichen Krise litten. „Statt uns auf unrealistische Diskussionen zu versteifen, sollten wir uns darauf konzentrieren, über gemeinsame Interessen wie Wirtschaft und Sicherheit zu sprechen“, sagt Smith.
Auch die UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Rosa Otunbajewa, verteidigte die Entscheidung. Unmittelbar vor und nach der zweitägigen Zusammenkunft in Doha, die am Sonntag beginnt, werde es Treffen mit Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft geben. Man hoffe nun, mit den Taliban direkt sprechen zu können, um die Situation der afghanischen Bevölkerung in Zukunft verbessern zu können.