Hunderttausenden Afghanen droht die Abschiebung aus Pakistan

Die Regierung Pakistans erhöht den Druck auf afghanische Flüchtlinge im Land. Von denen leben viele seit Jahrzehnten in Pakistan, einem Nachbarland Afghanistans, und sind dort verwurzelt.

Vergangenes Jahr hat die pakistanische Regierung allen Afghanen und Afghaninnen ohne gültige Aufenthaltspapiere im Land eine Frist bis zum 1. November gesetzt: Entweder sie kehren freiwillig zurück oder sie riskieren, inhaftiert und anschließend abgeschoben zu werden. Mehr als eine halbe Million Menschen haben seitdem das Land verlassen, viele von ihnen unter Zwang der Behörden.

Bisher traf das vor allem Menschen, die sich ohne Papiere im Land aufhalten. Inzwischen hat die Regierung jedoch angekündigt, in einer zweiten Phase ihres „Illegal Foreigners Repatriation Plan“ auch afghanische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis in Form der sogenannten Afghan Citizen Card (ACC) abzuschieben. Die ACC ist ein Dokument, das von den pakistanischen Behörden ausgestellt wurde und Afghanen erlaubt, in Pakistan zu leben und zu reisen, jedoch nicht den gleichen Schutz bietet wie für registrierte Flüchtlinge. Nach Angaben der pakistanischen Regierung wären davon bis zu 800.000 weitere Menschen betroffen.

Die Grenzen zwischen beiden Ländern waren in den vergangenen 40 Jahren, in denen in Afghanistan fast ununterbrochen Krieg herrschte, durchlässig. Immer wieder flohen Afghanen und Afghaninnen in das östliche Nachbarland. Viele von ihnen sind zurückgekehrt, andere sind heute dort fest verwurzelt. Ihr Aufenthaltsstatus war nie geklärt. Heute beherbergt Pakistan mit schätzungsweise bis zu vier Millionen Menschen eine der weltweit größten afghanischen Diasporagemeinden.

Auch im Land Geborene sind bedroht

Die Familie von Amrullah Khan floh vor mehr als 35 Jahren vor der sowjetischen Invasion aus der afghanischen Provinz Parwan. „Unsere ACC-Karten sind seit fast sieben Jahren abgelaufen“, sagt Khan. Mehrmals habe er vergeblich versucht, sie zu verlängern. Der 34-jährige Automechaniker, der mit seiner Familie in der Stadt Rawalpindi lebt, ist in Pakistan geboren und mit einer Pakistanerin verheiratet. Die Staatsbürgerschaft blieb ihm jedoch verwehrt. Zurück nach Afghanistan will Khan nicht – auch weil seine beiden Töchter in Pakistan eine weiterführende Schule besuchen, die in Afghanistan von den Taliban für Mädchen verboten ist. „Wir gehören weder auf die eine noch auf die andere Seite“, sagt er.

Bereits im November vergangenen Jahres hatten die pakistanischen Behörden Tausende Häuser enteignet und ganze von Afghanen bewohnte Viertel am Rande der Hauptstadt Islamabad mit Bulldozern zerstört. Er habe schon mehrmals Bestechungsgelder an die pakistanische Polizei zahlen müssen, berichtet Khan.

Pakistanische Politiker begründen die Abschiebungen vor allem mit der verschärften Sicherheitslage im eigenen Land. Die pakistanischen Taliban (TTP), die sich ideologisch mit den afghanischen Taliban verbunden fühlen, aber eigenständig agieren, haben in vergangenen Jahren immer wieder Anschläge in Pakistan verübt. Islamabad wirft der afghanischen Regierung vor, den TTP Schutz zu gewähren, und behauptet, dass die Anschläge von afghanischem Boden aus geplant und ausgeführt würden. Die Vertreter der Taliban in Afghanistan bestreiten dies.

Abschiebung als Druckmittel der Außenpolitik?

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern haben sich zuletzt zusehends verschlechtert. Nach einem Selbstmordanschlag der TTP auf einen Militärkonvoi im Grenzgebiet flog die pakistanische Armee im vergangenen Monat eine Reihe von Luftangriffen in den afghanischen Provinzen Paktika und Khost. Die Taliban griffen ihrerseits einen pakistanischen Militärstützpunkt nahe der Grenze an. Die Ankündigung einer zweiten Phase von Abschiebungen dürfte nun ein Versuch sein, den Druck auf die afghanischen Taliban zu erhöhen, ohne jedoch eine weitere militärische Eskalation im Grenzgebiet zu provozieren, sagt der Afghanistan-Experte Ibrahim Bahiss von der internationalen Denkfabrik „Crisis Group“.

Wann die pakistanische Regierung die zweite Phase der Rückführungen einleiten wird, ist bisher unklar. Zuletzt war der Beginn für das Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan angekündigt. Sollte Pakistan seine Pläne umsetzen, könnte das laut Bahiss zu ähnlichen Flüchtlingszahlen führen wie im vergangenen Jahr. Damals hätten die Taliban-Behörden in Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen auf der afghanischen Seite eine humanitäre Katastrophe noch verhindern können. In diesem Jahr jedoch fehle es vielen Organisationen aufgrund sinkender Spenden an ausreichenden Mitteln.

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