Berlin - Die Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan hat den Verantwortlichen bei der Vorbereitung und Umsetzung des Einsatzes gravierende Mängel vorgeworfen. Nach knapp anderthalb Jahren Aktenstudium und Anhörungen legte das Gremium aus Abgeordneten und Sachverständigen am Montag einen Zwischenbericht vor. Der Vorsitzende Michael Müller (SPD) formulierte die Bilanz schonungslos: „Deutschland ist gemeinsam mit seinen Partnern strategisch in Afghanistan gescheitert.“ Der Bericht geht der Frage nach, wie es zum Scheitern kam in dem Land, in dem nach dem Abzug der internationalen Truppen nach 20 Jahren im Sommer 2021 wieder die Taliban die Macht zurückerlangten.
Auf 338 Seiten, davon rund 100 Anhänge, analysiert der Bericht Motive, Ziele, Strategie, Wissen und Koordinierung des deutschen Engagements. In allen Punkten sieht der Bericht Mängel. „In der Rückschau erwiesen sich die Vorstellungen darüber, was man erreichen könnte, zunehmend als überhöht und überfrachtet“, heißt es etwa zum Thema Ziele im Bericht. Beim Aspekt Koordinierung ist von „Ressort-Egoismen“ die Rede, die dem Ansatz der Vernetzung von militärischen, polizeilichen, diplomatischen, humanitären und zivilen Aktivitäten entgegenstanden.
Zudem seien landeskundliche Kenntnisse zu wenig in die Überlegungen eingeflossen, heißt es im Bericht. „Deutschland hat Afghanistan nicht verstanden“, sagte die Obfrau der Grünen in der Kommission, Schahina Gambir. Kulturelle und religiöse Eigenheiten des Landes, der Unterschied zwischen Stadt und Land sowie Machtkonstellationen, die schwer mit dem westlichen Denken in Institutionen zu vereinbaren sind, seien nicht berücksichtigt worden.
Rückblickend sei der Einsatz damit in Gänze kein Erfolg gewesen, heißt es im Bericht, der zugleich von „Teilerfolgen“ spricht. Insbesondere Frauen und Mädchen hätten in dieser Zeit von der internationalen Präsenz in Afghanistan profitiert, heißt es darin. Angesichts der Größe des Einsatzes fielen die Erfolge im zivilen Bereich jedoch „bescheiden“ aus, bilanzierte die als Sachverständige zur Kommission gehörende Konfliktforscherin Katja Mielke vom International Centre für Conflict Studies in Bonn. Sie führt dies auch auf mangelnde Kontrolle und Evaluation der deutschen Aktivitäten zurück. Im Bericht heißt es dazu: „Es fand keine objektive ressortübergreifende Kontrolle des bundesdeutschen Engagements bzw. Einsatzes in Afghanistan statt.“
Der Bundestag hatte die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ 2022 eingesetzt. Nach der Analyse des Afghanistan-Einsatzes soll sie in einem zweiten Schritt Empfehlungen für künftige Einsätze ableiten. Der internationale Einsatz in Afghanistan begann nach den Terror-Anschlägen in den USA vom 11. September 2001. Rund 93.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten leisteten in den fast 20 Jahren Dienst in Afghanistan, 59 verloren dabei ihr Leben.
Am Donnerstag wird das Plenum des Bundestags über den Zwischenbericht der Kommission beraten. Das Parlament soll dann auch beschließen, dass das Gremium mehr Zeit für den Abschlussbericht mit Empfehlungen bekommt. Ursprünglich war vorgesehen, dass dieser bis Ende dieses Jahres vorgelegt wird. Das soll nun im Frühjahr 2025 geschehen.