Bamako - „Staatsstreich billig zu verkaufen, Atomwaffen zu verkaufen, Terrorismus, Waffen, Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus zu verkaufen“ - so beginnt das Theaterstück der „Generation B“, einem Kollektiv von Künstlern aus der Demokratischen Republik Kongo und Mali. Afrikanische Geschichte auf der Theaterbühne der malischen Hauptstadt Bamako: Das westafrikanische Land hat seit 1968 fünf Staatsstreiche erlebt. Die Schauspieler schreien und rennen, gleichzeitig ertönen Musik und politische Diskussionen. „Wiederholt sich die Geschichte?“, ruft einer. Am Schluss bleiben mehr Fragen als Antworten.
Auf dem Theaterfestival „Les Praticables“ in Bamako hat sich Mitte Dezember die Kulturszene mit Wucht zu Wort gemeldet: eineinhalb Wochen Theater, Poesie und Performances in Innenhöfen und auf den Straßen - und eine Stimmung, die keine Probleme mit den Machthabern erahnen lässt.
Seit 2021 regiert in dem Land eine Militärjunta, die die Zusammenarbeit mit den UN-Truppen der Minusma-Mission aufkündigte. Im Dezember zogen auch die letzten deutschen Bundeswehrsoldaten ab. Die Armee kämpft gegen islamistische Gruppen, die viele Gebiete im Norden Malis erobert haben, und gegen aufständische Tuareg. Die für Februar 2024 vorgesehenen Wahlen wurden vorerst verschoben.
Theaterprojekt beteiligt Kinder und Jugendliche
„Beim Festival geht es darum, welches Kapitel wir demnächst schreiben werden in unserem Land“, erklärt Direktor Lamine Diarra: „Was ist der Platz der Jugend, der Kultur und der Zivilgesellschaft auf dieser neuen Baustelle?“ Der Theaterregisseur fügt hinzu: „Ich behaupte, ohne uns kann nichts Intelligentes aufgebaut werden.“
Choreograf Ochoi Ogaba aus Nigeria krümmt in seiner Performance den Körper, dreht und windet sich. Das Publikum spürt, dass sich der Hüne mit den Rastazöpfen eine quälende Frage stellt: Bleiben oder weggehen? „Should I stay or should I go?“ ruft Ogaba schwer atmend. Dann erscheint auf der Leinwand der 92-jährige Dorfchef des Viertels Bamako-Coura. Er hat Kolonialzeit, Unabhängigkeit, Staatsstreiche erlebt und in ganz Mali als Lehrer und Beamter gearbeitet. Seine Worte beenden die Performance: Er sagt, zu seiner Zeit habe keiner nach Europa gehen wollen. Obwohl man damals kein Visum gebraucht habe.
Dschihadisten zwingen Frauen schwarze Kleidung zu tragen
Das Festival will Kunst fürs Volk bieten und findet daher im Viertel Bamako-Coura in der Altstadt der malischen Hauptstadt statt. Zahlreiche Theaterprojekte beteiligen Kinder, Jugendliche und Frauen. Im Stück „Et on se raconte“ spielen sechs Schülerinnen aus Mopti aus dem Norden des Landes ihren Alltag. Sie haben monatelang mit Autorin und Regisseurin Jeanne Diama gearbeitet: „Wir versuchen, das Bild von der Frau zu dekonstruieren, die heiraten und Kinder bekommen muss.“
Es geht um Zwangsheirat und Belästigung in der Schule, aber auch um Arbeitslosigkeit, illegale Auswanderung und Dschihadisten. In einer Szene wäscht ein Mädchen in einem Trog Kleider, als vermummte Typen mit Waffen auf die Bühne stürmen. „Das ist Wirklichkeit“, erzählt Lamata Gourou nach der Show: „In unserem Nachbarviertel fordern die Dschihadisten, dass sich die Frauen in Schwarz kleiden und dass alle Kopfbedeckungen tragen, Frauen, Männer, Kinder.“ Empört fügt die 18-Jährige hinzu: „Sie kommen sogar in die Häuser und fordern, diese Kleidung zu tragen. Sie greifen dich in deinem eigenen Haus an.“
Auf der Bühne reißt das Mädchen den Vermummten deren Tarnung herunter. Mit geballten Fäusten fordern die Schülerinnen zum Schluss Freiheit und Sicherheit. „Wir haben die Nase voll“, erklärt Lamata Gourou: „Wir wollen in Sicherheit leben, mit guter Laune.“ Die Begeisterung des Publikums ist mitreißend, es gibt Bravo-Rufe und Standing Ovations, auch Kinder klatschen begeistert, singen mit.
"Mali steht am Wendepunkt"
Es war die fünfte Ausgabe des Festivals, zu dem auch rund 30 Künstler und Künstlerinnen aus verschiedenen afrikanischen Ländern kamen. Sie präsentierten gemeinsam mit Schauspielern und Schauspielerinnen aus Mali ihre Kreationen. „Meine Arbeit als Regisseur dreht sich um Geschichten, die im kollektiven Unterbewusstsein verankert sind“, erklärt Festivaldirektor Lamine Diarra: „Wir brauchen ein neues Narrativ, das von uns selbst kommt und von uns handelt und offen bleibt für die Welt.“ Sein Land stehe am Wendepunkt, und da sei die Rolle der Kunst sehr wichtig.
In der Performance „Yasuke walks“ tanzen afrikanische Samurai-Krieger mit Kegelhüten in Glitterhosen und Kimonos aus afrikanischen Stoffen. Die Kostüme stammen von Malis Modemacher Lamine Kouyate alias Xuly Bët, der seine Modelle normalerweise auf den Laufstegen in Paris oder New York zeigt. „Wir wollen zeigen, dass wir stark sind“, sagt der Designer: „An dieser Dynamik will ich teilnehmen.“
Trotz der ungewissen Lage im Land, dem politischen Abbruch der Beziehungen zu Frankreich und dem Misstrauen gegenüber dem Westen und internationalen Institutionen wurde das Festival von der Europäischen Union und vielen westlichen und einheimischen Partnern unterstützt.
Afrikanisches Selbstbewusstsein war auf dem Festival Mitte Dezember überall zu spüren. Mali sei ein Land, das auf seiner Kultur beruhe, sagt Lamine Diarra: „Die Kultur muss als wertvoller angesehen werden als das Gold“, fordert er. „Das Gold in unserem Boden kann man abbauen und eines Tages ist es zu Ende“, sagt Diarra, „unsere Kultur kann aber in den kommenden Generationen überleben.“