Brasiliens bekanntester Befreiungstheologe engagiert sich unermüdlich für soziale Bewegungen und die Umwelt. Auch im hohen Alter ist Leonardo Boff keineswegs leiser geworden.
Berlin/São Paulo (epd). Mehr als 50 Jahre sind Leonardo Boff und der aus Argentinien stammenden Papst Franziskus befreundet. Beide Theologen verbindet das Engagement für die Armen und der Ruf nach Bescheidenheit der Kirche. Boff, mit seinem dichten weißen Bart, ließ sich nie das Wort verbieten. International bekannt geworden ist er durch seine Auseinandersetzung mit dem Vatikan und dem damals für Glaubensfragen zuständigen Kardinal Joseph Ratzinger. Bis heute ist Boff eine wichtige Stimme für soziale Gerechtigkeit - nicht nur in Brasilien. Am 14. Dezember wird er 85 Jahre alt.
Doch es ist keineswegs ruhig um Boff geworden. Er publiziert so viel wie kaum ein anderer Theologe: Rund 90 Bücher und unzählige Artikel hat er veröffentlicht. Auch im hohen Alter ist er produktiv, schreibt und gibt Interviews. So ging er in den vergangenen Jahren scharf mit dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro (2018 bis 2022) ins Gericht, dem er eine Politik „voller Hass, Verachtung, Lügen und Vulgarität“ vorwarf.
Boff kritisiert immer wieder die Auswüchse eines entfesselten Kapitalismus, wie er es nennt. „In den vergangenen 40 Jahren hat die Zahl der Armen und Unterdrückten zugenommen. Somit hat die Befreiungstheologie nicht an Bedeutung verloren“, sagt er. Zunehmend widmet er sich in seinen Schriften der Ökologie, verbunden mit philosophisch-spirituellen Fragestellungen und spricht von einer „Theologie des Lebens“.
So geißelt er die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes, die unter Bolsonaro neue Höchstwerte erreichte. „Der Amazonas ist ein Gemeinwohl des Menschen“, schreibt Boff. Die Ideen der Franziskaner der brüderlichen Nähe zu den Armen und der gesamten Schöpfung leiten ihn bis heute.
1938 im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina als Sohn italienischer Einwanderer geboren, tritt Boff 1958 in den Franziskanerorden ein. Er studiert Theologie und Philosophie, unter anderem in Deutschland. 1964 erhält er die Priesterweihe.
Ende der 1960er Jahre schloss sich Boff einer Gruppe von Priestern an, die Armut und Unterdrückung nicht mehr als gottgegeben hinnehmen wollte. Sie begehrten gegen die Dogmen der Kirche auf und gründeten zahlreiche Basisgemeinden - mehr als 100.000 gibt es bis heute in Brasilien. Die ärgsten Gegenspieler der Befreiungstheologen waren der konservative, aus Polen stammende Papst Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger.
Nicht immer war das Verhältnis zu Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt, derart schlecht. Sie kannten sich mehr als 45 Jahre, seit Boff während seiner Studienzeit in Deutschland Ratzingers Vorlesungen besuchte und der deutsche Theologe Zweit-Gutachter der Promotion des Brasilianers war.
Später jedoch zitierte Ratzinger seinen alten Weggefährten mehrfach nach Rom, warf ihm Nähe zum Marxismus vor. 1985 wird Boff mit einem einjährigen Lehrverbot („Bußschweigen“) belegt. Als er sich 1991 in mehreren Artikeln kritisch mit dem Zölibat sowie der Hierarchie und der Machtausübung der katholischen Kirche auseinandersetzt, wird er zum fünften Mal gemaßregelt und bekommt eine Disziplinarstrafe auferlegt.
Als Konsequenz aus dem zermürbenden Kampf tritt Boff 1992 aus dem Franziskanerorden aus und lässt sich in den Laienstand versetzen. Er habe die Schützengräben gewechselt, aber nicht die Schlacht, sagte er kämpferisch. Danach nahm er eine Ethik-Professur in Rio de Janeiro an. 2001 erhielt er für sein Engagement den Alternativen Nobelpreis.
Die Versöhnung mit dem Vatikan erfolgte erst 2013 mit dem Amtsantritt Franziskus'. „Dieser Papst hat sich immer als Befreiungstheologe in dem Sinn verstanden: Befreiung des unterdrückten Volkes und der zum Schweigen gebrachten Kultur“, sagte Boff. Franziskus habe mit der Reform des Papsttums angefangen, ohne die noch aus dem Römischen Reich und der Renaissance stammenden Apparate und Titel. „Das bedeutet für uns eine Art Frühling, nachdem wir einen sehr scharfen Winter gehabt haben.“
Heute lebt Boff immer noch in den Bergen in der Nähe von Petrópolis, im Bundesstaat Rio de Janeiro. Sein Zuhause in dem ökologischen Reservat Araras bewohnt er zusammen der Menschenrechtsaktivistin Marcia Maria Monteiro de Miranda, mit der er seit rund 40 Jahre zusammen ist. Sie brachte sechs Kinder aus ihrer ersten Ehe mit in die Partnerschaft.