Nairobi, Khartum - Die Situation der Bevölkerung im Sudan wird wegen der andauernden Kämpfe immer verzweifelter. Die Menschen geraten nach Aussagen von Anwohnern und Hilfsorganisationen jeden Tag mehr zwischen die Fronten. Trotz eines erneuten Versuchs einer Waffenruhe ging die Gewalt zwischen der sudanesischen Armee und der paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF) am Donnerstag weiter. Immer mehr Bewohner der Hauptstadt Khartum verlassen laut dem britischen Sender BBC die Stadt.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief die Konfliktparteien zu einer Waffenruhe auf. „Die Kämpfe müssen beendet werden“, erklärte er in der Nacht zu Donnerstag in Brüssel. Zudem appelliere die EU an alle Akteure, einen raschen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen sowie die Zivilbevölkerung zu schützen.
Grund für die Gewalt ist ein Machtkampf zwischen dem Armee-General Abdul Fattah Al-Burhan und dem RSF-Befehlshaber Mohamed Hamdan Dagalo, genannt „Hemeti“, der am Samstag eskalierte. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden seitdem mehr als 330 Menschen getötet und fast 3.200 verletzt. Bereits vor der jüngsten Eskalation waren rund 16 Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, auf Hilfe zum Überleben angewiesen. Die meiste Hilfe ist derzeit ausgesetzt, Vorräte von Hilfsorganisationen wurden geplündert, Helferinnen und Helfer können nicht aus ihren Häusern.
„Jeder Gang vor die Tür ist lebensgefährlich“
„Den Familien gehen die Vorräte aus, und die Wasserversorgung ist zusammengebrochen, doch jeder Gang vor die Tür ist lebensgefährlich“, sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. Zudem seien Märkte niedergebrannt, und die Versorgungswege aus Khartum blockiert worden. Die Ernährungslage im Sudan sei aufgrund von Trockenheit, hohen Preisen und schwindenden Lebensgrundlagen infolge der langjährigen Wirtschaftskrise und anhaltender Vertreibung ohnehin sehr ernst.
UN-Sprecher Stéphane Dujarric sagte, es brauche dringend eine humanitäre Waffenpause, damit die Verletzten und Kranken eine Klinik aufsuchen und die Menschen Lebensmittel kaufen könnten. Zugleich seien die UN besorgt, dass das Gesundheitssystem komplett kollabieren könnte. 16 Krankenhäuser seien bereits geschlossen, neun davon in Khartum. Zudem würden Gesundheitseinrichtungen und Personal immer wieder angegriffen.
Augenzeuge: RSF missbraucht Anwohner als Schutzschild
Auch die Bevölkerung gerät offenbar immer stärker zwischen die Fronten. Die RSF habe ein Quartier im Haus neben dem seiner Familie eingerichtet und terrorisiere die Anwohner, sagte ein Augenzeuge telefonisch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Paramilitärs gingen gegen Menschen vor, die versuchten, Nahrungsmittel zu beschaffen oder die Stadt zu verlassen.
Das Militär versuche nach seinen Beobachtungen, zivile Opfer zu vermeiden, sagte der junge Mann, der vor dem Ausbruch der Kämpfe als IT-Fachmann bei mehreren internationalen Hilfsorganisationen gearbeitet hat und aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. Die RSF verstecke sich jedoch bewusst in Wohngegenden und missbrauche die Anwohner als Schutzschild. Von den Angriffen der RSF berichten auch viele andere Menschen, unter anderem auf den sozialen Netzwerken, sowie Organisationen und Journalisten.
Derweil sucht die Bundesregierung nach Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Wege, um Bürger westlicher Staaten zügig aus dem Sudan zu evakuieren. Er sagte dem TV-Sender „Welt“ in Berlin, „die Lage wird gerade sondiert“. Ein Versuch der Bundeswehr, etwa 150 deutsche Staatsbürger auszufliegen, war Medienberichten zufolge am Mittwoch wegen der Kämpfe gescheitert.
Im Jahr 2019 hatte eine Protestbewegung den autoritären Langzeitherrscher Omar Al-Baschir gestürzt. Das Militär weigerte sich jedoch, seine Macht an eine zivile Regierung abzugeben. Proteste für eine Demokratisierung des Landes wurden teils blutig niedergeschlagen. Im Oktober 2021 setzten die jetzigen Widersacher Al-Burhan und „Hemeti“ eine zivil-militärische Übergangsregierung ab, konnten sich aber nicht auf einen Plan für einen Übergang zur Demokratie einigen.