Es gibt einen aktuellen Anlass für die Gewalt und einen weiter zurückreichenden politischen Hintergrund. Ende Dezember vergangenen Jahres wurde in Las Anod ein lokaler Vertreter der größten Oppositionspartei erschossen. Das war der bisherige Endpunkt einer Mordserie in den vergangenen 15 Jahren, der Dutzende lokaler Persönlichkeiten zum Opfer gefallen sind, etwa Richter, hochrangige Polizeioffiziere oder eben Politiker. Die Opfer waren sämtlich Angehörige des in der Region dominanten Clans der Dhulbahante. In der lokalen Bevölkerung hat sich die Erklärung etabliert, die Regierung von Somaliland sei dafür verantwortlich nach dem Motto: Die wollen unsere Eliten töten. Nach dem Mord im Dezember gab es Proteste in Las Anod. Die Regierung schickte Polizei und Militär, im Laufe mehrerer Tage wurden rund 20 Menschen erschossen und noch mehr verletzt. Daraufhin ist die Situation eskaliert. Zugleich sind Gruppen auf die Straße gegangen, die für den Anschluss der Region an Somalia sind ...
... und also aus Somaliland raus wollen. Ist das der längerfristige politische Hintergrund des Konfliktes?
Genau. Somaliland hat sich 1991 für unabhängig von Somalia erklärt. Die zwei großen Clans im Osten Somalilands, die Dhulbahante und die Warsengeli, haben sich diesem sezessionistischen Projekt nie mit ganzem Herzen angeschlossen. Vor allem in den vergangenen zwanzig Jahren haben sie sich zunehmend von der Idee eines eigenständigen Somaliland distanziert.
Spielen auch Gebietsstreitigkeiten mit der somalischen Region Puntland eine Rolle, die an Somaliland grenzt?
Ja, das ist Teil der politischen Gemengelage. Puntland wird vom Clan der Majerteen dominiert, und die berufen sich mit den Dhulbahante und den Warsengeli auf einen gemeinsamen männlichen Vorfahren namens Harti. Puntland ist gewissermaßen die politische Verwaltung dieser Abstammungsgemeinschaft. Das führt zwangsläufig zu Gebietsstreitigkeiten mit Somaliland, das ebenfalls die von Dhulbahante und Warsangeli bewohnten Gebiete beansprucht: Die waren Teil des britischen Protektorats, in dessen Grenzen sich Somaliland definiert. Man muss aber betonen, dass die jüngste Eskalation in Las Anod nicht von Puntland heraufbeschworen wurde.
Welche Rolle spielt die somalische Regierung in Mogadischu?
Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud hat sich bislang sehr zurückhaltend zu der Gewalteskalation geäußert. Zum einen ist seine Regierung gerade sehr damit beschäftigt, al Shabaab in Süd- und Zentralsomalia zu bekämpfen. Da kann sie einen weiteren Konflikt im Norden nicht gebrauchen. Zum anderen überlegt Präsident Mohamud möglicherweise, ob er den Anspruch der Dhulbahante auf Selbstverwaltung wirklich unterstützen will. Denn das könnte ähnlich gelagerte lokale Konflikte in anderen Teilen Somalias heraufbeschwören, mit denen er sich dann auseinandersetzen müsste.
Was muss getan werden, um die Lage zu entschärfen?
Als erstes müsste ein Waffenstillstand beschlossen und eingehalten werden. Zweitens muss die aus der Stadt geflohene Bevölkerung humanitär versorgt werden. Und drittens müssten traditionelle Autoritäten, die Kontakt zur somaliländischen Regierung in Hargeisa haben, mit lokalen Kräften verhandeln. Erst dann könnten überhaupt langfristige Verhandlungen über den politischen Status der Region beginnen. Denkbar wäre ein Referendum, in dem die lokale Bevölkerung entscheiden kann, ob sie zu Somaliland oder zu Somalia gehören will. Damit die Regierung in Hargeisa einem solchen Referendum zustimmt, könnte es mit der Garantie verbunden werden, dass das übrige Somaliland danach als eigenständig anerkannt wird.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.