Berlin - Mitte Dezember noch machten CDU und CSU gegen das deutsche Lieferkettengesetz mobil. In der letzten Sitzung des Jahres legte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Bundesrat einen sogenannten Entschließungsantrag vor. Weil die Wirtschaft aktuell vor „ungeheuren Herausforderungen“ stehe, sei es „zwingend erforderlich“ den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu verschieben, hieß es darin. Ein ähnlicher Antrag der Unionsfraktion wurde im Bundestag debattiert. Doch die Initiativen waren allem Anschein nach nur ein letztes Aufbäumen. In der Länderkammer fand sich keine Mehrheit für eine sofortige Sachentscheidung. Der Entschließungsantrag, rechtlich ohnehin nicht verbindlich, kam erst einmal zur weiteren Beratung in die Ausschüsse - ebenso wie der Antrag von CDU/CSU im Bundestag.
Zu Jahresbeginn trat der erste Teil des Lieferkettengesetzes in Kraft: Die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sowie gewisse Vorgaben gegen Umweltverschmutzung gelten dann für große Firmen in Deutschland mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Es gilt eine Bemühenspflicht, nicht eine Erfolgspflicht. Das bedeutet, die Firmen müssen die Risiken in ihrer Lieferkette genauer in den Blick nehmen - zum Beispiel, indem sie Menschenrechtsbeauftragte einstellen. Wenn es dann noch Verstöße gibt, werden die betreffenden Firmen nicht sofort abgestraft, sondern erst, wenn sie nichts dagegen tun.
Beim TÜV Nord können Unternehmen Hilfe suchen, wenn sie ihre Lieferketten unter die Lupe nehmen wollen. Zertifizierungsexperte Martin Saalmann sagte auf epd-Anfrage, dass täglich ein bis zwei Anfragen bei ihm eingehen. „Viele kommen von Firmen, die in Hochrisikoländern wie Bangladesch, China oder Indien produzieren lassen.“ Oftmals sind es kleinere Unternehmen, für die das Lieferkettengesetz zwar nicht gilt, die aber als Lieferanten von den großen Konzernen in die Pflicht genommen werden.
Wie wirksam das Gesetz tatsächlich ist, wird sich in diesem Jahr zeigen. Für deutsche Firmen, die in der chinesischen Provinz Xinjiang produzieren, dürfte es aber schwieriger werden. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen wirft China vor, dort Uiguren und andere Angehörige muslimischer Minderheiten willkürlich in Haftlagern festzuhalten. Seit Jahren gibt es Vorwürfe der Zwangsarbeit in den Fabriken, die US-Regierung spricht sogar von einem Genozid.
Auch Elektrokonzerne, die mit Konfliktmineralien aus Bürgerkriegsregionen arbeiten wie Coltan, Kobalt, Gold oder Zinn, dürfen künftig nicht mehr wegschauen. Die Textilbranche ist ebenfalls enorm risikobehaftet. Schließlich gab die Katastrophe von Rana Plaza im Jahr 2013 den Anstoß für das Lieferkettengesetz: Bei dem Einsturz der achtstöckigen Fabrik in Bangladesch wurden mehr als 1.100 Menschen getötet und mehr als 2.400 zum Teil schwer verletzt - überwiegend Frauen, die dort für globale Modekonzerne als Näherinnen gearbeitet haben.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird Vorwürfen der Ausbeutung oder Kinderarbeit künftig nachgehen und gegebenenfalls Zwangs- und Bußgelder verhängen. Rund 50 Personen sollen zunächst an der neuen Außenstelle der Behörde in Borna bei Leipzig zum Lieferkettengesetz arbeiten. Bis Sommer ist geplant, deren Zahl auf etwa 100 zu verdoppeln.
Das neue Gesetz war ein Herzensanliegen des früheren CSU-Entwicklungsministers Gerd Müller, der das Regelwerk gemeinsam mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil gegen massiven Widerstand aus der Wirtschaft durchgesetzt hat. Es wurde allerdings im Gesetzgebungsverfahren entschärft und gilt nicht, wie ursprünglich vorgesehen, schon für Betriebe ab 500 Beschäftigten. Auch eine zivilrechtliche Haftung wurde verhindert. Ausgebeutete Textilarbeiterinnen in Bangladesch haben somit auch künftig kaum Chancen, vor deutschen Gerichten auf Entschädigung zu klagen.