Nairobi - William Ruto erzählt manche Geschichten aus seiner Vergangenheit deutlich lieber als andere. Gerne beschreibt der 55-Jährige die bescheidenen Verhältnisse seiner Kindheit im bergigen Rift Valley in Zentralkenia: Wie er zu Fuß weite Wege in die Schule gehen musste, dass er erst mit 15 sein erstes Paar Schuhe bekommen habe, und wie er Hühner und Erdnüsse am Straßenrand verkauft habe, um zu überleben. Er schaffte es, sein Studium zu finanzieren, machte einen Abschluss in Botanik und Zoologie.
Dass Ruto es schließlich an die Spitze des ostafrikanischen Staates geschafft hat, ist eine beeindruckende Karriere. Am Dienstag wird er in sein neues Amt als Staatschef Kenias eingeführt, nachdem er seit 2013 Vizepräsident war. Die Wahlen vom 9. August gewann er denkbar knapp.
„Charismatisch, fleißig, voller Ideen“
„Selbst Kritiker räumen ein, dass er charismatisch, fleißig und voller neuer Ideen ist“, schreibt Declan Walsh, leitender Afrika-Korrespondent der „New York Times“. Mut und Selbstbewusstsein gehören zu einem solchen Aufstieg wohl auch. Rutos klug gebildetes Wahl-Narrativ war, dass eine solche Traumkarriere künftig in Kenia deutlich normaler sein soll.
Den zwei Dritteln der Gesellschaft, die in prekären Verhältnissen leben und nun auch noch mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und den steigenden Lebensmittel- und Treibstoffpreisen kämpfen, versprach er eine wirtschaftliche Umkehr. Sein Wahlmanifest widmete er denjenigen, die „am unteren Ende der Pyramide“ stehen und kündigte Mindestpreise für landwirtschaftliche Produkte, Subventionen für Düngemittel sowie Unterstützung für die Gründung von Kleinstunternehmen an.
Vizepräsident wegen Geldwäsche angeklagt
Sein Vizepräsident wird der Geschäftsmann Rigathi Gachagua, der wegen Geldwäsche und Veruntreuung angeklagt ist. Und das leitet zu den Themen, über die Ruto nicht so gerne spricht: Wie sein künftiger Vize besitzt Ruto längst ein ansehnliches Vermögen. Erworben hat er es während seiner politischen Laufbahn: Seit 1997 hatte er verschiedene politische Posten inne und war mehrfach Minister. Und besitzt laut „New York Times“ unter anderem einen zehn Quadratkilometer großen landwirtschaftlichen Betrieb, ein Luxushotel und eine Hühnermast.
Am wenigsten gern wird Ruto an seine mutmaßliche Rolle bei den politischen Unruhen in Kenia nach den Wahlen von 2007 erinnert. Der Internationale Strafgerichtshof warf ihm indirekte Mittäterschaft an Morden und Vertreibungen vor und klagte ihn 2012 an. Laut der Anklageschrift wurden nach den Wahlen mehr als 1.100 Menschen getötet und über eine halbe Million gewaltsam vertrieben.
Trotz des Verfahrens wurde Ruto zum Vizepräsidenten vereidigt, an der Seite des ebenfalls angeklagten Uhuru Kenyatta, der nun aus dem Präsidentenamt scheidet. Beide Verfahren wurden inzwischen eingestellt. Das gegen Kenyatta wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit endete 2014 aus Mangel an stichhaltigen Beweisen.
Der Prozess gegen Ruto wurde 2016 nur vorübergehend eingestellt, wie das Gericht betonte. Zur Begründung hieß es, ein faires Verfahren sei wegen politischer Einflussnahme nicht möglich. Mindestens 16 der insgesamt 42 Zeugen der Anklage zogen ihre Bereitschaft zur Aussage im Verlauf des Verfahrens nachgewiesenermaßen aufgrund von Drohungen oder Bestechung zurück. Das Gericht kündigte an, das Verfahren wieder aufnehmen zu wollen, sollte sich die Beweislage ändern.
Was der angehende Staatschef im neuen Amt auf jeden Fall brauchen wird, ist die Fähigkeit zu Ausgleich und Kompromiss. Denn die Wahl zwischen ihm und dem Oppositionellen Raila Odinga hätte kaum knapper ausgehen können - das Land ist offensichtlich gespalten. Ruto hat mit einem Vorsprung von etwa 233.000 Stimmen gewonnen, bei 14,3 Millionen abgegeben Stimmen. Die Wahlbeteiligung von 64,8 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler ist ein Negativrekord in Kenia. Odinga zweifelte das knappe Ergebnis denn auch an. Doch ein Gericht bestätigte vergangenen Montag Rutos Sieg.
Vielleicht noch wichtiger wird es sein, diejenigen wieder für die Demokratie zu begeistern, die aus Frust über die Politik nicht gewählt haben. Ob der ehrgeizige, und manche sagen skrupellose Aufsteiger dazu die Fähigkeit hat, muss sich erst zeigen