Berlin/Santiago de Chile - Mit Gabriel Boric wird nicht nur der jüngste Präsident in der Geschichte Chiles, sondern auch ein Politiker neuen Typs in den Präsidentenpalast Moneda einziehen. Der ehemalige Studentenführer will mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell in Chile brechen und den Aufbruch hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit schaffen. „Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus war, wird es auch sein Grab sein“, hatte er angekündigt. Eine breite soziale Agenda mit einem Umbau des privaten Rentensystems, die Einführung einer Reichensteuer sowie mehr Investitionen in das Gesundheits- und Bildungssystem gehören zu seinen Wahlversprechen. Der Amtsantritt des neuen Präsidenten ist für März vorgesehen, wenige Wochen nach seinem 36. Geburtstag.
Boric wurde als Sohn kroatischer und katalanischer Einwanderer am Südzipfel von Chile, in Punta Arenas geboren. Sein Vater ist Ingenieur in der Erdölindustrie, seine Mutter Hausfrau. Nach dem Besuch einer Privatschule zog er im Jahr 2004 zum Jurastudium in die Hauptstadt Santiago. Dort engagierte er sich in der Studentenbewegung und wurde 2011 zum Anführer der chilenischen Studentenföderation FECH gewählt. In diese Zeit fielen auch die Massenproteste der Studierenden gegen die soziale Ungleichheit im Bildungswesen und die hohen Studiengebühren. Im Jahr 2013 kandidierte der damals 27-jährige Boric als unabhängiger Kandidat für das Abgeordnetenhaus und wurde gewählt. Er gehört zu den Mitbegründern der Frente Amplio, einem breiten Bündnis linker Parteien und Bewegungen. Bei seiner zweiten Kandidatur 2017 trat er für die Frente Amplio an und wurde für die Region Magallanes im Süden Chiles gewählt.
Gewählt von der jungen Generation und der urbanen Mittelschicht
Als Abgeordneter unterstützte er die Massenproteste in Chile vor zwei Jahren, die sich an Fahrpreiserhöhungen entzündeten, sich aber zum Kampf gegen das ungleiche Sozialsystem ausweiteten. Bei der Präsidentschaftswahl trat Boric mit dem linken Wahlbündnis Apruebo Dignidad (Ich stimme der Würde zu) an, das aus der Frente Amplio und der Kommunistischen Partei zusammengesetzt ist. Sein Kontrahent, der Rechtsnationalist José Antonio Kast, schürte im Wahlkampf deshalb die Angst vor „Terrorismus und Kommunismus“. Im ersten Wahlgang Ende November kam Boric nach Kast nur auf Platz zwei.
Boric, der mit seinem Vollbart und den tätowierten Unterarmen nicht dem Bild des traditionellen Politikers entspricht, wurde mehrheitlich von der jungen Generation und der urbanen Mittelschicht gewählt. Über sein Privatleben äußert er sich kaum. „Ich bin nicht verheiratet, habe eine Partnerin, die ich seit zweieinhalb Jahren liebe“, sagte Boric in einem der wenigen Interviews zu seinem Privatleben. Gleichzeitig betonte er, dass seine Partnerin nicht die Position der Präsidentengattin, der „primera dama“, einnehmen werde, die er für überholt hält.
Nach dem Wahlsieg beschwor Boric die Einheit Chiles und betonte mehrfach, der Präsident aller Chileninnen und Chilenen zu sein. Als Präsident wird seine größte Herausforderung die Umsetzung seiner ambitionierten Sozialagenda im Kongress sein, in dem seine Koalition keine Mehrheit hat. „Dies ist ein historischer Wendepunkt, und wir dürfen ihn nicht verpassen“, betonte er. Auch muss Boric die Unruheregion Araukanien befrieden, in der die Ureinwohner der Mapuche um ihr angestammtes Land kämpfen. Statt auf eine Militärintervention setzt er auch hier auf den Dialog.