Frankfurt a.M./Addis Abeba - Das äthiopische Parlament hat der Verhängung des landesweiten, sofortigen Notstands zugestimmt. Das Repräsentantenhaus billigte damit eine Entscheidung der Regierung, die Ministerpräsident Abiy Ahmed weitreichende Befugnisse sichert. Zur Begründung hieß es, die Ausrufung des Ausnahmezustands sei nötig, weil die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und ihre Verbündeten „eine schwere und direkte Gefahr für die Existenz und Souveränität des Landes darstellen“, wie die staatliche Nachrichtenagentur ENA am Donnerstag berichtete.
Der Notstand gilt für sechs Monate und erlaubt der Regierung unter anderem, das Militär einzusetzen, Bürger zum Militärdienst einzuberufen, Personen ohne Gerichtsentscheidung zu inhaftieren und Medien sowie lokale Verwaltungen aufzulösen. Für die Umsetzung der Notstands zuständig ist eine neue Kommandozentrale der Streitkräfte, die Ministerpräsiden Abiy untersteht.
Seit einem Jahr liefert sich die äthiopische Armee heftige Kämpfe mit der TPLF, die sie als Terrororganisation bezeichnet, und anderen Gruppen um die Macht. In den vergangenen Tagen hatten Regierungstruppen Medienberichten zufolge mehrere Gefechte gegen TPLF-Kämpfer verloren. Die TPLF hatte am Mittwoch erklärt, die Stadt Kemise, rund 300 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, erobert zu haben. Davor hatten sie nach eigenen Angaben die Städte Kombolcha und Dessie eingenommen, die ebenfalls an der strategisch wichtigen Verkehrsverbindung in die Hauptstadt liegen.
IGAD fordert sofortigen Waffenstillstand
International wachsen die Sorgen vor einer weiteren Ausbreitung des Konflikts. Der Vorstandssekretär der afrikanischen Regionalorganisation IGAD, Workneh Gebeyehu, forderte in einer Erklärung einen sofortigen Waffenstillstand. EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief die Parteien zu politischen Gesprächen ohne Vorbedingungen auf. Eine militärische Lösung gebe es nicht. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, der Konflikt eskaliere in dramatischer Weise. Die TPLF und ihre Verbündeten müssten ihre Offensive unverzüglich stoppen und die Regierung müsse ihre Luftschläge beenden und Mobilisierungsaufrufe unterlassen. Großbritannien hatte am Mittwoch britische Staatsbürger zur Ausreise aufgerufen, die USA begannen mit der Evakuierung von Botschaftsmitarbeitern.
Seit Anfang November 2020 kämpfen Truppen der Zentralregierung und der gestürzten Regionalregierung von Tigray um die Macht in der nordäthiopischen Region. Der Konflikt weitete sich zuletzt auf andere Regionen aus und hat eine humanitäre Krise ausgelöst, durch die UN-Schätzungen zufolge 400.000 Menschen in Tigray hungern. In einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht warfen die UN und die Äthiopische Menschenrechtskommission allen an dem Konflikt beteiligten Parteien Verbrechen vor.