Südafrikas Gewissen spricht immer noch

Frankfurt a.M./Pretoria - Unbequeme Standpunkte scheinen ihm nichts auszumachen - im Gegenteil. Desmond Tutu, der frühere Erzbischof von Kapstadt, ist so etwas wie das Gewissen Südafrikas und schreckt vor kontroversen Themen nicht zurück. Am 7. Oktober wird er 90 Jahre alt. Und meldet sich immer noch zu Wort.

Neben Nelson Mandela (1918-2013), dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, ist Tutu der wohl berühmteste Kämpfer gegen die Apartheid. Er lief bei Protestmärschen vorne mit, machte im Ausland auf die Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatland aufmerksam und wurde dafür von der Apartheid-Regierung drangsaliert. Für seinen unermüdlichen Einsatz erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. 1990, als Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm Tutu ihn die erste Nacht in Freiheit in seinem Haus auf. Nach dem Ende der Apartheid 1995 ernannte ihn Präsident Mandela zum Vorsitzenden der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die Verbrechen der Apartheid aufarbeitete. Rund 21.000 Menschen wurden bis 1998 angehört.

Für die Gleichberechtigung von Homosexuellen

Über die „Desmond & Leah Tutu Legacy Foundation“, eine Stiftung, die er gemeinsam mit seiner Frau Leah gegründet hat, wendet Tutu sich heute an die Südafrikanerinnen und Südafrikaner. Im vergangenen Jahr kritisierte die Stiftung Korruption beim Einkauf von Schutzmaterialen während der Corona-Pandemie - so werde das Vertrauen zwischen Staat und Bürgern untergraben. Dass die Abwehr von Covid-19 in Geschäftemacherei umgeschlagen sei, sei ein großer Rückschritt für die Integrität des Landes, hieß es in einer Erklärung. Als Tutu im Mai gegen Corona geimpft wurde, sagte er, sein Leben lang habe er versucht, das Richtige zu tun - und die Impfung sei das Richtige, um zum nationalen Heilungsprozess und zu einem Ende der Pandemie beizutragen.

Tutu setzte sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen und das Recht auf Sterbehilfe ein. Er forderte eine Anklage gegen den früheren britischen Premierministers Tony Blair wegen Kriegsverbrechen im Irak und legte sich mit der Regierung von Präsident Jacob Zuma an, der von 2009 bis 2018 im Amt war.

Aus dem Lehrer wurde ein Theologe

Über seine politische Haltung pflegt Tutu zu sagen, sein Glaube verlange es zu handeln. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, sagt dieser nicht: 'Lass uns beten und auf Wiedersehen'“, erklärte er einmal. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, gibt er ihm zu essen.“

Geboren wurde Desmond Mpilo Tutu 1931 in der kleinen Goldgräber-Stadt Klerksdorp im Transvaal. Sein Vater war Lehrer, seine Mutter Hausangestellte. Er wurde selbst Lehrer, gab den Beruf aber nach drei Jahren auf, weil die Apartheid-Regierung den „Bantu Education Act“ verabschiedet hatte, der die Rassentrennung in allen Bildungseinrichtungen vorschrieb. Tutu studierte Theologie und wurde 1960 als Geistlicher der anglikanischen Kirche ordiniert.

Erster Schwarzer an der Spitze der anglikanischen Kirche in Südafrika

Er studierte und lehrte in Großbritannien und Südafrika. 1975 wurde er in Johannesburg zum ersten schwarzen Dekan berufen, drei Jahre später zum Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates gewählt. In dieser Zeit, als es in den Townships, den Schwarzenvierteln, zu Aufständen kam, wurde Tutu zum Vorkämpfer der Anti-Apartheid-Bewegung - auch wenn er stets betonte, keine politischen, sondern religiöse Motive zu verfolgen. 1986 wurde Tutu Erzbischof von Kapstadt und damit der erste Schwarze an der Spitze der anglikanischen Kirche in Südafrika. 1996 schied er aus dem Amt.

Mit seiner Haltung, beispielsweise zur Homosexualität, ging er immer wieder auf Distanz zu seiner Kirche. Als seine Tochter eine niederländische Ärztin heiratete, stellte er sich hinter die beiden. Mpho Tutu, eine Pfarrerin, musste ihr Amt aufgeben, weil die anglikanische Kirche Homosexuellen die Priesterweihe verweigert. Vater Desmond Tutu feierte bei der Hochzeit mit und sagte, er sei traurig über die Haltung seiner Kirche.
 

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