Reporter ohne Grenzen kritisiert Bundesregierung

Berlin - „Reporter ohne Grenzen“ wirft der Bundesregierung ein unkoordiniertes und intransparentes Vorgehen bei der Rettung afghanischer Medienschaffender vor. Journalistinnen und Journalisten vor Ort müssten unter den Taliban um ihr Leben fürchten und sollten so schnell und unbürokratisch wie möglich Afghanistan oder unsichere Drittländer verlassen können, sagte Geschäftsführer Christian Mihr am Mittwoch in Berlin. Die Gespräche, die „Reporter ohne Grenzen“ in den vergangenen Wochen auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium geführt habe, spiegelten diese Dringlichkeit aber nicht wider.

„Stattdessen haben sich die beiden Ministerien gegenseitig die Verantwortung zugeschoben und damit Evakuierungs- und Aufnahmeverfahren blockiert“, kritisierte Mihr. Er begrüßte die pauschale Aufnahmezusage des Innenressorts vom Mittwoch für mehr als 2.000 Menschen aus Afghanistan. Doch wie viele der Medienschaffenden auf der Liste stehen, sei unklar. Unklar sei auch, warum diese Liste „geschlossen“ werden soll. „Dabei ist bekannt, dass immer noch Medienschaffende verzweifelt versuchen, das Land zu verlassen“, sagte Mihr. Allein seit dem 1. September hätten „Reporter ohne Grenzen“ 70 weitere Hilferufe von Journalisten aus dem Land erreicht.

Journalisten warten auf Aufnahme in Deutschland

Bereits zuvor hatte die Organisation bis zum 1. September die Namen von mehr als 152 hoch gefährdeten Medienschaffenden an das Auswärtige Amt übermittelt. Nach Informationen von „Reporter ohne Grenzen“ wurde aber bisher nur eine Journalistin von der Liste von der Bundeswehr aus Kabul ausgeflogen. Fünf weitere Medienschaffende seien von der US-Armee aus dem Land gebracht worden. 20 von der Organisation gelistete Journalisten und Journalisten warteten aktuell in Drittländern auf ihre Aufnahme in Deutschland, zehn seien auf dem Weg in die Bundesrepublik.

"Die Aufnahmezusage ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, er reicht jedoch nicht aus. Denn Überlegungen, Sicherheitsüberprüfungen in Kabul durchführen zu lassen, sind angesichts der Lage vor Ort weltfremd”, sagte Mihr. Die Internationale Organisation für Migration (IOM), die dafür in Frage käme, sei derzeit nicht in Kabul arbeitsfähig, geschweige denn in anderen afghanischen Regionen. Auch für die nach Iran, Pakistan, Tadschikistan, Usbekistan oder die Türkei geflüchteten Kolleginnen und Kollegen berge eine langwierige Sicherheitsüberprüfung das Risiko, dass ihre Visa ablaufen und sie zurück nach Afghanistan müssen.

In Herat arbeiten nur noch 6 von einstmals 55 Medien

Einer der Journalisten, der es mit Hilfe von „Reporter ohne Grenzen“ nach Deutschland geschafft hat, ist der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung „Hasht e Subh“, Wahid Payman. Er warnte am Mittwoch vor einem falschen Spiel der Taliban. „Um international anerkannt zu werden, geben sie vor die Meinungs- und Pressefreiheit zu achten“, sagte Payman: „Wir haben aber Hunderte an Beweisen, dass es nicht so läuft.“

Besonders dramatisch sei die Lage in den Provinzen, wo Medienschaffende noch massiver als in Kabul bedroht, geschlagen und auch gefoltert würden. Fast alle hätten mittlerweile die Arbeit eingestellt. So würden in der Provinz Herat, der zweitgrößten Stadt des Landes, nur noch sechs von einstmals 55 Medien arbeiten.

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