Frankfurt a.M., New York - Die UN-Sondergesandte für Afghanistan, Deborah Lyons, hat vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch Afghanistans gewarnt. Neben der humanitären drohe dem Land eine gravierende finanzielle Krise, sagte sie am Donnerstag (Ortszeit) vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Denn Milliarden an Kapital und Finanzhilfen von Gebern seien durch die internationale Gemeinschaft eingefroren worden.
Die verständliche Absicht sei, den Taliban den Zugriff zu diesen Mitteln zu verweigern. „Unvermeidbare Auswirkung wird allerdings eine gravierende Rezession sein, die viele weitere Millionen Menschen in Armut und Hunger treiben könnte“, betonte Lyons. Das könne eine massive Fluchtwelle verursachen und Afghanistan für Generationen zurückwerfen.
„Während die afghanische Währung abgestürzt ist, sind die Preise für Sprit und Essen in die Höhe geschossen“, sagte Lyons. Private Banken hätten kein Bargeld, Löhne könnten nicht bezahlt, Einfuhren in dem stark von Importen abhängigen Land nicht getätigt werden. Lebensmittel, Medikamente, Sprit, Strom und andere essenzielle Dinge könne Afghanistan nicht mehr finanzieren.
"Kollaps der Wirtschaft vermeiden"
Es müsse schnell ein Weg gefunden werden, Geldflüsse nach Afghanistan zu ermöglichen, „um einen Kollaps der Wirtschaft und der sozialen Ordnung zu vermeiden“, sagte die UN-Expertin. Sicherheiten müssten geschaffen werden, um zu gewährleisten, dass das Geld dort ausgegeben wird, wo es gebraucht wird, und nicht von den de-facto-Behörden zweckentfremdet werde. „Der Wirtschaft muss ermöglicht werden für einige Monate zu atmen.“ Zugleich könnten die Taliban eine Chance bekommen, Flexibilität zu zeigen und einen echten Willen, die Dinge diesmal anders zu tun, unter Berücksichtigung der Menschenrechte, der Geschlechtergerechtigkeit und im Kampf gegen den Terror.
Die ernannte Regierung der Taliban sei eine Enttäuschung, weil keine Frauen dabei seien, keine Männer, die nicht den Taliban angehörten, keine Mitglieder der früheren Regierung oder Angehörige von Minderheiten, sagte die Sonderbeauftragte. Stattdessen seien es viele der Führungsspitzen der Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001. Zahlreiche der bislang genannten 33 Regierungsmitglieder stünden auf der UN-Sanktionsliste, darunter der Ministerpräsident, zwei stellvertretende Ministerpräsidenten und der Außenminister.
Besorgniserregend nannte Lyons auch zunehmende Einschüchterungen und Drohungen gegen UN-Personal und die Lage für Ortskräfte, ehemalige Regierungsbeamte, Frauen, Mädchen und Menschen, die gegen die Machtübernahme der Taliban protestierten. Dennoch sei jetzt Zeit, schnell und massiv Hilfe zu leisten. „Vielleicht können wir noch helfen diese neue Realität in eine positivere Richtung zu lenken.“