Berlin - Afghanische Frauenrechtlerinnen haben die internationale Gemeinschaft davor gewarnt, der moderateren Selbstdarstellung der Taliban in Afghanistan Glauben zu schenken. Die tatsächliche Haltung des Regimes unterscheide sich in keiner Weise vom Wertesystem von vor 20 Jahren, sagten drei aus verschiedenen afghanischen Städten zugeschaltete Aktivistinnen in einer virtuellen Konferenz der Berliner Organisation Yaar am Donnerstag. Die Taliban hätten lediglich dazugelernt, wie man sich inszeniert und die Realität verzerrt, um eigene Ziele zu erreichen, betonten die Frauen. Ihre Namen sollen zu ihrem Schutz nicht genannt werden.
Derweil riefen Menschenrechtsorganisationen Regierungen weltweit auf, gefährdete Afghaninnen und Afghanen Asyl zu gewähren. Die Nachbarländer sollten sie einreisen lassen und die Geberländer sollten ihnen eine Umsiedlung ermöglichen und die Nachbarländer in die Lage versetzen, Geflohene aufzunehmen. „Alle Afghanen brauchen Zugang zu einem fairen Prozess zur Feststellung ihres Status und ihres Schutzbedürfnisses“, sagte der Migrationsexperte von Human Rights Watch, Bill Frelick.
Amnesty International forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Zusammen mit weiteren über 20 Organisationen verlangte Amnesty, Deutschland müsse die Evakuierung Gefährdeter fortsetzen und Flüchtlinge aufnehmen. Zu den Gefährdeten gehörten neben Ortskräften unter anderen Menschenrechtsengagierte, Medienschaffende und Frauenrechtlerinnen.
Taliban erschwert öffentliche Proteste
Aktivistinnen haben im Laufe der vergangenen Woche in verschiedenen Teilen Afghanistans für die Einhaltung der Menschenrechte und die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben demonstriert. Obwohl sie dafür teilweise Genehmigungen der Behörden dafür hatten, seien sie verfolgt und angegriffen worden, hieß es bei der Berliner Konferenz. Die Taliban hätten gelernt zu lügen, sagten die zugeschalteten Frauen. In Afghanistan herrsche Krieg zwischen Taliban und Zivilbevölkerung.
Inzwischen hat das neue Taliban-Regime ein weitreichendes Protestverbot erlassen. In seiner ersten Verordnung erklärte das Innenministerium am Mittwochabend, Demonstrationen ohne eine vorherige Genehmigung seien nicht mehr erlaubt. Kundgebungen müssten künftig angemeldet werden, ebenso wie alle Slogans, die man dabei verwenden wolle. Es steht zu befürchten, dass es Frauen damit erschwert werden soll, zu protestieren.
Hilfswerke wollen ihre Arbeit fortsetzen
Unterdessen betonten Hilfswerke, ihre Arbeit für die afghanische Bevölkerung trotz der Machtübernahme der Taliban Mitte August fortsetzen zu wollen. Unicef werde seine humanitäre Hilfe ausweiten, kündigte das UN-Kinderhilfswerk an. „Wir dürfen die Kinder in Afghanistan in dieser sehr unsicheren Situation nicht allein lassen“, erklärte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, und rief zu Spenden auf. Gewalt, Dürre und die Covid-19-Pandemie haben nach Unicef-Angaben in den vergangenen Monaten bereits zu einer deutlichen Verschlechterung der Situation geführt. Eine Million Kinder unter fünf Jahren seien akut von Mangelernährung bedroht.
Die Caritas wolle angesichts der „schieren Notlage in Afghanistan bleiben, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, sagte Präsident Peter Neher der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag). Voraussetzung seien aber eine Sicherheitsgarantie durch die Taliban sowie eine Garantie, dass Frauen gleichberechtigt arbeiten könnten. Noch zeichne sich nicht ab, ob diese Bedingungen erfüllt würden. „Wir sind da von der Bundesregierung und ihren Verhandlungen mit den Machthabern abhängig.“