Frankfurt a.M., Kairo - Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat wegen eines drohenden Medikamentenmangels in Afghanistan Alarm geschlagen. „Die Vorräte im Land halten noch eine Woche“, sagte der WHO-Direktor für die Region östliches Mittelmeer, Ahmed Al-Mandhari, am Dienstag bei einer virtuellen Pressekonferenz. Über 500 Tonnen medizinische Güter steckten in Dubai fest, weil der Flughafen in Kabul für kommerzielle Flüge geschlossen sei. „Die Länder schicken leere Flugzeuge für die Evakuierung, aber bisher haben sie sich nicht in der Lage gesehen, medizinische Güter einzufliegen.“ Man sei deshalb in Gesprächen.
WHO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter arbeiteten in allen 34 Provinzen weiter. Sie brauchten die Unterstützung von Spendern und Partnern, um Leben zu retten, appellierte er an die internationale Gemeinschaft. Es gehe vor allem darum, schnell zu helfen. „Jede Sekunde ist entscheidend.“
Der Notfall-Regionaldirektor Richard Brennan sagte, man verhandle derzeit mit drei oder vier Ländern, die noch nicht genannt werden könnten, und hoffe, dass demnächst eine Lösung für die Einfuhr der Hilfsgüter gefunden werde. Ein weiteres Problem stelle allerdings die Verteilung des Materials innerhalb des Landes dar. In den vergangenen Tagen sei die Hilfe heruntergefahren worden, viele Beschäftigte seien evakuiert worden. „Aber die Taliban wollen, dass die UN bleiben“, sagte Brennan. Sobald sich die Lage etwas stabilisiere, solle die Hilfsoperation wieder aufgestockt werden. Auch derzeit laufe vieles weiter, etwa die Kampagne zur Bekämpfung der Kinderlähmung.
Afghanisches Gesundheitssystem überlastet
Laut dem WHO-Vertreter in Afghanistan, Dapeng Luo, haben die Taliban ausdrücklich zugesagt, dass auch die weiblichen Helfer weiterarbeiten können. Dennoch hätten Frauen ihre Arbeit aufgegeben. Und auch Patientinnen hätten Angst, ihre Häuser zu verlassen. Von den etwa 700 WHO-Beschäftigten in Afghanistan arbeiteten rund 380 weiter. Den Angaben zufolge sind 95 Prozent der 2.200 medizinischen Einrichtungen im Land offen. Dennoch sei es sehr schwierig, die Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten. „Das Gesundheitssystem ist mit der Behandlung von Verletzten belastet.“ Für andere Aufgaben wie Impfkampagnen blieben wenig Kapazitäten. Auch der Kampf gegen die Corona-Pandemie leide darunter.
Afghanistan hat den Expertinnen und Experten zufolge bereits drei Covid-19-Wellen durchlaufen. In den vergangenen zwei Wochen seien die Zahlen der gemeldeten Infektionen und Todesfälle gesunken, sagte die WHO Programmdirektorin der Region, Rana Hajjeh. Aber das liege daran, dass die Menschen, besonders die Frauen, sich nicht behandeln ließen. „Sie haben andere Prioritäten.“ Vor allem unter Vertriebenen sei die Gefahr groß, dass sich die Krankheit ausbreite. „Nur fünf Prozent der Afghanen sind gegen Covid-19 geimpft.“
Hajjeh machte deutlich, dass Afghanistan auch jenseits der Ereignisse der vergangenen Wochen eine der größten humanitären Krisen der Welt erleide. Mehr als 18 Millionen Menschen, rund die Hälfte der Bevölkerung, seien auf Nothilfe angewiesen. Ganz dringend sei es, weiter Essen zu liefern.