Göttingen - Menschenrechtler fordern einen umfassenderen Schutz für die religiöse Minderheit der Jesiden im Irak. Anlass für den Aufruf sei der Völkermord an der jesidischen Bevölkerung im irakischen Sindschar durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), teilte die Gesellschaft für bedrohte Völker am Freitag in Göttingen mit. Am 3. August 2014 hatte der Völkermord des IS an den Jesiden begonnen. Schätzungen zufolge wurden damals mindestens 5.000 Männer getötet, Tausende Frauen und Kinder verschleppt.
„Weniger als 35 Prozent der vor dem IS geflüchteten Menschen sind in ihre historische Heimat Sindschar zurückgekehrt“, sagte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido. „Noch immer leben etwa 200.000 Menschen in Flüchtlingslagern in Irakisch-Kurdistan.“ Der andauernde Streit zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Zentralregierung in Bagdad erschwere ihre Lage und ihre Rückkehr. Zudem seien verschiedene Milizen in der Region aktiv.
Fehlende Aufarbeitung des Völkermords
Gestritten werde seit Jahren über die administrative Zugehörigkeit der Region Sindschar. Die vom Iran kontrollierten schiitischen Parteien und die von der Türkei unterstützten sunnitischen Gruppen verhinderten jedoch eine Einigung in dem Verwaltungsstreit, um ihren eigenen Einfluss zu sichern. „Auch die tödliche Gefahr durch den IS und andere sunnitische Milizen ist noch nicht gebannt“, mahnte Sido.
Die fehlende Aufarbeitung des Völkermords an der jesidischen Bevölkerung verunsichere die Menschen. Die für die Morde und Vergewaltigungen verantwortlichen IS-Täter seien kaum zur Rechenschaft gezogen worden, sagte der Experte. Der Streit unter den politischen Parteien und die Macht der Milizen hätten auch verhindert, dass ein im März vom irakischen Parlament verabschiedetes Gesetz, das die Gräueltaten des IS als Völkermord anerkennt und der jesidischen Bevölkerung Schutz zuspricht, bisher umgesetzt wurde.
In Sindschar sollen heute weniger als 120.000 Menschen leben. Vor dem Völkermord waren es mindestens 400.000. Seit dem Beginn des Genozides haben schätzungsweise 100.000 Menschen aus der Region den Irak verlassen. Die meisten dürften nach Schätzungen der Menschenrechtler in Deutschland Zuflucht gefunden haben.