Brüssel, Berlin - Im Zusammenhang mit der Abdrängung von Flüchtlingen vor der griechischen Küste hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex einer Untersuchung des Europaparlaments zufolge schwere Fehler begangen. Die Agentur habe Belege gefunden, die Vorwürfe von Grundrechtsverletzungen stützten, aber „versäumt, diese Verstöße umgehend, wachsam und effektiv anzugehen und weiterzuverfolgen“, heißt es in einem am Donnerstag in Brüssel vorgestellten Bericht. Hintergrund des Berichts sind Vorwürfe, wonach Frontex Kenntnis davon gehabt haben soll, dass in der Ägäis sogenannte Pushbacks durch die griechische Küstenwache stattgefunden haben. Dabei wird es Asylsuchenden unmöglich gemacht, die EU zu erreichen. Nach EU-Recht ist das nicht erlaubt.
Eine Beteiligung von Frontex selbst an den illegalen Zurückweisungen wurde in dem Bericht aber nicht festgestellt. Die Parlamentariergruppe fand „keine schlüssigen Beweise für die unmittelbare Durchführung von Pushbacks und/oder Kollektivausweisungen durch Frontex“, heißt es im Bericht.
Vorwürfe gegen Frontex-Direktor Leggeri
Der Bericht macht Frontex aber andere Vorwürfe, die sich auch konkret gegen Direktor Fabrice Leggeri richten. Er habe etwa im Frühjahr 2020 zu einem bestimmten Vorfall von den Griechen zunächst eine Untersuchung verlangt, sich dann aber mit deren Dementi zufriedengegeben. Das entsprach laut Bericht einem „Muster, dass eine Akte geschlossen wird, nachdem ein Mitgliedstaat den berichteten Vorfall verneint hat“.
Die Arbeitsgruppe des Innenausschusses des Parlaments hatte die Frontex-Arbeit seit März untersucht. Sie bestand aus Abgeordneten aus sieben Fraktionen, Vorsitzende war die maltesische EVP-Abgeordnete Roberta Metsola, Berichterstatterin die niederländische Grüne Tineke Strik. Die Deutungen des Berichts unterscheiden sich aber auch unter Mitgliedern des Gremiums. Die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst erklärte am Donnerstag, dass der Bericht nicht von einer direkten Beteiligung von Frontex an Pushbacks spreche, sei „eine politische Entscheidung“ gewesen, die von konservativen und rechten Kräften vorangetrieben wurde". Sie fordert Leggeris Rücktritt. Die CDU-Abgeordnete Lena Düpont hingegen kommentierte, die Vorwürfe von Grundrechtsverletzungen durch die Agentur hätten nicht festgestellt werden können. Leggeri kündigte an, die Umsetzung der Empfehlungen der Parlamentariergruppe zu prüfen.
Deutschland hat keine Bootsflüchtlinge mehr aufgenommen
Nach wie vor versuchen Tausende Menschen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Nach dem EU-Türkei-Abkommen sank zwar die Zahl von Bootsflüchtlingen in Griechenland, in Italien bleibt sie aber hoch. Allein in diesem Jahr kamen mehr als 19.000 aus Seenot gerettete Menschen in Italien an, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Das Ministerium beruft sich dabei auf Zahlen der italienischen Administration.
Deutschland hatte sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt, die Versorgung der Flüchtlinge, die derzeit allein bei den Einreisestaaten liegt, gerecht innerhalb der EU zu teilen und nahm selbst Bootsflüchtlinge auf. Wie aus dem Dokument aus dem Bundesinnenministerium hervorgeht, wurden seit September allerdings keine Aufnahmezusagen mehr gemacht. Die damalige Absichtserklärung sei nach sechs Monaten ausgelaufen. Deutschland habe sich dann in Einzelfällen bereit erklärt, Asylsuchende aufzunehmen. Die letzte Aufnahmezusage gab es demnach für das am 25. September 2020 in Italien angelandete Rettungsschiff „Alan Kurdi“.
Zuvor hatte die Bundesrepublik seit Juni 2018 insgesamt 1.314 Menschen die Aufnahme in Deutschland versprochen, 913 von ihnen sind tatsächlich eingereist. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke erklärte, es sei „beschämend, dass sich die Bundesregierung seit beinahe zehn Monaten nicht mehr an der Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten beteiligt hat“.