Berlin - Die Corona-Pandemie hat nach Angaben der Welthungerhilfe in vielen Krisenregionen zur Rückkehr von Hungersnöten geführt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen müssten 690 Millionen Menschen weltweit hungern, erklärte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, bei der Vorstellung des Jahresberichtes am Mittwoch in Berlin. Das seien knapp neun Prozent der Weltbevölkerung oder etwa jeder elfte Mensch. Bei 155 Millionen Menschen sei der Hunger lebensbedrohlich.
Laut dem Bericht ist der Hunger in Asien am stärksten verbreitet, 381 Millionen Menschen sind betroffen. Auf dem afrikanischen Kontinent sei die Hungersituation mit 250 Millionen Menschen ebenfalls alarmierend. Insbesondere in Ostafrika sei die Situation dramatisch, hier seien ein Fünftel der Bevölkerung unterernährt (19,1 Prozent). In Lateinamerika belaufe sich die Zahl auf 48 Millionen Menschen.
Welthungerhilfe: Corona zum Hungervirus mutiert
In vielen Projektländern der Hilfsorganisation habe sich die Lage der Menschen durch die Pandemie dramatisch verschärft. Corona sei zum Hungervirus mutiert und insbesondere Frauen und Kinder litten am stärksten unter den Folgen, sagte Thieme.
Die aktuellen Berichte aus den Projektländern seien alarmierend, sagte Generalsekretär Mathias Mogge. Die Nahrungsmittelpreise stiegen enorm an, die wirtschaftliche Entwicklung sei durch die Lockdowns und Unterbrechung der Handelswege um Jahre zurückgeworfen worden und viele Familien hätten sich hoch verschuldet. So seien beispielsweise die Preise für Grundnahrungsmittel in Syrien um das Dreifache gestiegen.
In einer Befragung der Welthungerhilfe von mehr als 16.000 Haushalten in 25 Ländern gab Ende 2020 fast die Hälfte von ihnen an, seit Ausbruch der Pandemie weniger zu essen zu haben. Auch die Qualität der Nahrung habe abgenommen. „Und es trifft vor allem die ärmsten Regionen in Afrika südlich der Sahara am härtesten“, sagte Mogge.
Besonders betroffen seien Tagelöhner und Beschäftigte im informellen Sektor wie der Landwirtschaft. Auch die Situation von Flüchtlingen im globalen Süden habe sich durch Corona verschärft, die Spannungen mit Einheimischen nähmen zu.
In immer mehr Ländern überlagerten sich die Krisen, und die Pandemie habe Konflikte wie im Südsudan weiter verschärft. Hunger werde in Kriegsgebieten zunehmend als Waffe eingesetzt.
Dürrekatastrophen und Jahrhundertfluten
Durch die Pandemie verstärkte Inflationen und Rezessionen würden die Hungerbekämpfung um Jahre zurückwerfen, warnte Mogge. Für Lateinamerika gehe man von bis zu 20 Jahren aus. Dazu komme der Klimawandel, der die Existenzen von Familien unter anderem in Afrika gefährde, sagte die Welthungerhilfe-Präsidentin. In Madagaskar hätten Dürren und in Ostafrika Jahrhundertfluten Ackerland und Viehherden und damit die Lebensgrundlage der Kleinbauern und -bäuerinnen zerstört. „Die Menschen haben keinerlei Reserven mehr“, sagte Thieme.
2020 Jahr hat die Welthungerhilfe nach eigenen Angaben in 35 Ländern rund 14,3 Millionen Menschen unterstützt. Dafür standen 285,4 Millionen Euro zur Verfügung. Die Spendeneinnahmen lagen bei 69,6 Millionen Euro, eines der besten Spendenergebnisse in der Geschichte der Organisation.