Berlin - Nach 20 Jahren kommt der deutsche Afghanistan-Einsatz zum Abschluss. Der letzte Soldat hat nach Angaben der Bundeswehr am Dienstag das Land am Hindukusch verlassen. Im Laufe des Mittwochs wurden die Streitkräfte am Luftwaffenstützpunkt Wunstorf in Niedersachsen erwartet. Viele afghanische Ortskräfte haben ebenfalls ein Visum beantragt, um nach Deutschland übersiedeln zu können.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte: „Ein historisches Kapitel geht zu Ende, ein intensiver Einsatz, der die Bundeswehr gefordert und geprägt hat, bei dem sich die Bundeswehr im Kampf bewährt hat.“ Es sei aber auch ein Einsatz gewesen, „bei dem Angehörige unserer Streitkräfte an Leib und Seele verletzt wurden, bei dem Menschen ihr Leben verloren haben, bei dem wir Gefallene zu beklagen hatten“. Zugleich kündigte sie an, offen darüber zu reden, „was gut war, was nicht gut war und was wir gelernt haben“.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, erklärte: „Die Bundeswehr wurde vom Parlament in den Einsatz nach Afghanistan entsandt. Deshalb haben wir eine besondere Verantwortung, jetzt auch eine kritische und ehrliche Bilanz zu ziehen.“ Sie schlug vor, dafür eine Enquete-Kommission im Bundestag zu bilden. Ein solches Gremium könne „das leisten und aufzeigen, was der Einsatz gebracht hat und was wir für aktuelle und künftige Einsätze lernen können“.
Gefährdete Ortskräfte stellen Visumsantrag, um nach Deutschland zu kommen
Nach Angaben eines Bundeswehrsprechers haben seit dem 25. Mai mehr als 470 Afghanen, die für die deutschen Streitkräfte gearbeitet haben, Visumsanträge gestellt, weil sie wegen ihrer Tätigkeit gefährdet seien. Da auch deren Familienangehörige Visa bekommen können, handele es sich um insgesamt 2.380 Personen. 95 Prozent von ihnen hätten inzwischen die benötigten Dokumente bekommen. Es werde aber noch mit weiteren Anträgen gerechnet. Die Bundesregierung hat die Aufnahme afghanischer Ortskräfte beschlossen, um diese nach dem Abzug der internationalen Truppen vor Racheaktionen der Taliban zu schützen.
Für all diejenigen, die im Afghanistan-Einsatz dienten, soll es nach Angaben der Verteidigungsministerin im Sommer einen Festakt geben. Insgesamt leisteten den Angaben zufolge rund 160.000 Soldatinnen und Soldaten Dienst in Afghanistan, 59 verloren im Zusammenhang mit dem Einsatz ihr Leben, 35 davon durch Fremdeinwirkung, also etwa bei Angriffen oder Anschlägen. Vor Beginn der Rückverlegung nach Deutschland im Mai betrug die Personalstärke in Afghanistan noch etwa 1.100.
Die Organisation Pro Asyl forderte mit Blick auf die sich zuspitzende Lage in Afghanistan derweil die Bundesländer auf, eigenständig einen Abschiebestopp für drei Monate zu erlassen. „Niemand darf jetzt abgeschoben werden“, erklärte Geschäftsführer Günter Burkhardt. In dieser Zeit müsse das Auswärtige Amt einen aktuellen Lagebericht zu Afghanistan erstellen, auf dessen Grundlage Gerichte und das Bundesamt für Migration die Situation angemessen beurteilen könnten.