Genf - Bei der krisengeplagten Welthandelsorganisation steht eine Zeitenwende an: Erstmals in der Geschichte wird eine Frau in das gediegene Direktionsbüro in Genf einziehen. Neue Generaldirektorin wird die frühere zweifache Finanzministerin und kurzzeitige Außenministerin Nigerias, Ngozi Okonjo-Iweala. Sie wird auch die erste Persönlichkeit aus Afrika sein, die an die WTO-Spitze rückt. Die 66-Jährige wurde am Montag vom Allgemeinen Rat der Organisation in Genf einstimmig für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt.
Auf die neue Generaldirektorin wartet in ihrer vierjährigen Amtszeit ein Mammutprogramm: Sie muss sich unter anderem mit dem Einbruch des Welthandels durch die Corona-Krise beschäftigen, mit wachsendem Protektionismus und Handelskonflikten, beispielsweise zwischen den USA und China. Okonjo-Iweala folgt auf den Ende August 2020 zurückgetretenen Brasilianer Roberto Azevêdo.
Die Nigerianerin setzte sich in mehreren Wahlgängen gegen sieben weitere Kandidaten durch. Zum Schluss zog die einzig verbliebene Konkurrentin, Handelsministerin Yoo Myung-hee aus Südkorea, ihre Kandidatur zurück. Okonjo-Iweala konnte in der entscheidenden Phase des Rennens auf die Unterstützung der EU und vieler Länder des Südens zählen.
"Eine herausragende Persönlichkeit"
Die USA unter dem früheren Präsidenten Donald Trump blockierte jedoch die Ernennung der Afrikanerin über Monate. Die neue Regierung von Joe Biden drückte dann ihre "starke Unterstützung" für die Nigerianerin aus. Damit wurde der Weg in die Chefetage der 1995 gegründeten WTO frei. Okonjo-Iweala bringe "einen Reichtum an Wissen in Ökonomie und internationaler Diplomatie" mit sich, lobt das US-Handelsbüro. Auch andere Fachleute wie die frühere Handelsministerin Costa Ricas, Anabel González, trauen ihr den Job zu. Okonjo-Iweala "habe eine herausragende Persönlichkeit".
Der Lebenslauf der Afrikanerin liest sich denn auch beeindruckend: Neben den Positionen in der Regierung ihres Landes schaffte sie es bei der Weltbank bis zur Nummer zwei, scheiterte aber beim Versuch, Präsidentin zu werden. Insgesamt 25 Jahre war sie bei der Organisation in Washington. Zuletzt war sie Aufsichtsratsvorsitzende bei der internationalen Impfstoff-Allianz Gavi, und sie sitzt in den Aufsichtsgremien des Kurznachrichtendienstes Twitter und der Standard Chartered Bank.
Die promovierte Entwicklungsökonomin, die auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, gibt jetzt die Parole aus: "Wir wollen die WTO verjüngen und reformieren." Okonjo-Iweala weiß jedoch, dass sie als neue Generaldirektorin keine direkte Entscheidungsbefugnis bei Verhandlungen der Mitgliedsländer hat.
Gleicher Zugang zu Covid-19-Medikamenten
Die Frau aus dem erdölreichen Nigeria zielt vor allem auf eine stärkere Einbindung der Länder des Südens in die Globalisierung. Ein großer Versuch der WTO, die armen Staaten stärker am Warenaustausch zu beteiligen, startete 2001. Doch die Verhandlungen über einen neuen Welthandelsvertrag mit einem Schwerpunkt auf Entwicklungspolitik versandeten. Das ergebnislose Feilschen trug entscheidend zu der Krise der WTO bei.
Okonjo-Iweala, vierfache Mutter und dreifache Großmutter, sieht auch eine neue Rolle für die WTO im Kampf gegen Covid-19. "Es muss einen gleichen Zugang zu Medizin geben und die WTO könnte Teil der Lösung sein." Nach ihrer Ernennung sagte sie: "Eine starke WTO ist entscheidend, wenn wir uns vollständig und schnell vom Schaden der Covid-19-Pandemie erholen wollen."
"Neuer Blick" auf schwerfällige Organisation
Die WTO-Mitglieder Südafrika und Indien fordern eine vorübergehende Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe gegen Corona. Die Aufhebung des Patentschutzes soll es ermöglichen, auch in Ländern des Südens Impfstoffe zu produzieren, damit ärmere Länder schneller Zugang dazu haben. Bislang hält sich Okonjo-Iweala allerdings eher bedeckt, wenn die Patent-Initiative zur Debatte steht.
Skeptiker halten Okonjo-Iweala auch vor, dass sie sich kaum mit Handelsfragen befasst habe und die WTO wenig kenne. "Es stimmt, ich bin keine WTO-Insiderin, aber das ist eine gute Sache", sagt sie und verweist auf den "neuen Blick", den sie auf die schwerfällige Organisation werfen könne.